Gedanken
Ruth Gogoll und andere Autorinnen schreiben über Themen, die sie bewegen.

Beim Thema Narzissmus horche ich natürlich auf, denn damit beschäftige ich mich als Psychologin seit Jahren. Leider wird dem Thema von psychologischer Seite her immer noch zu wenig Beachtung geschenkt.

Viele meiner Kolleginnen und Kollegen nehmen das Thema nicht richtig ernst, weil es im psychologisch-therapeutischen Bereich ein noch relativ junges Thema ist. Nicht wirklich neu, denn schon Sigmund Freud hat sich damit beschäftigt, aber es wird oft als eine Art Randthema betrachtet, das nicht sehr viele Leute betrifft.

Das ist jedoch ein Irrtum. Nicht nur betrifft dieses Thema mehr Leute, als man denkt, die zu Opfer von Narzissmus oder wie man das korrekt nennt narzisstischem Missbrauch werden, es wird auch immer wichtiger, seine Sensoren im täglichen Leben dafür zu schärfen.

Es gibt keine zuverlässigen Zahlen dazu, wie viele Menschen narzisstisch sind und wie viele davon bösartige Narzissten oder Psychopathen – und nur die werden überhaupt als relevant für eine Statistik betrachtet – sind, und so wird die Anzahl der Betroffenen meist von allen Seiten unterschätzt. Wie viele Leute sich zwar auf dem Spektrum des Narzissmus befinden, aber nicht in die Kategorie bösartig oder psychopathisch fallen, darüber gibt es noch weniger Zahlen und Erkenntnisse.

Die Grenzen sind da ohnehin fließend, denn ein narzisstisch gestörter Mensch kann seinem Umfeld sehr viel Ärger bereiten, auch wenn er nach Ansicht vieler Fachpersonen nicht in die Kategorie bösartig fällt. Die davon betroffenen Nicht-Fachpersonen sehen das oft ganz anders, denn jeder Narzisst kann andere Menschen an den Rand der psychischen Erschöpfung treiben oder darüber hinaus. Es ist, als hätte man sein ganzes Leben lang ein kleines Kind im Haus, das nie erwachsen wird und nie etwas dazulernt. Das darüber hinaus aber auch nicht besonders freundlich ist, sodass man wenigstens die Vorteile einer harmlosen Kinderseele hätte. Narzissten sind grundsätzlich extreme Egoisten, mit allem Negativen, was dazugehört.

Obwohl es keine zuverlässigen Zahlen gibt, wird oft behauptet, Narzissten würden nur etwa 2-3 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Wie gesagt ist das sehr zweifelhaft und bezieht sich nur auf die schlimmste Variante, von denen viele auch im Gefängnis sitzen, aber trotzdem sollte man sich einmal klarmachen, was das bedeutet. Selbst wenn es stimmen würde. Das bedeutet, wenn man 100 Millionen Leute anschaut, sind 2-3 Millionen davon schwer narzisstisch bzw. psychopathisch. Zwei bis drei Millionen. Eine Randerscheinung? Und das ist eine Schätzung mit einer großen Dunkelziffer. Was, wenn es 10 Millionen sind? Und noch einmal 10 Millionen, die sich im etwas milderen Bereich des Spektrums befinden, aber genauso ihre Familie oder ihre Kollegen zum Wahnsinn treiben können? Wir wissen es nicht.

Was ich weiß und was ich sehe, das sind die Opfer des Narzissmus, die voller Verzweiflung Hilfe bei Psychologen suchen. Manchmal auch bei ihrem Arzt, weil sich der narzisstische Missbrauch schon auf ihre Gesundheit ausgewirkt hat. Sie leiden unter Ängsten und Depressionen, haben körperliche Symptome wie Schwindelanfälle oder Magengeschwüre und noch eine ganze Menge mehr. Wenn das dann von einem Arzt behandelt wird, als wäre es eine rein körperliche Beeinträchtigung, eine Krankheit, die der Patient oder die Patientin, die gerade vor ihm sitzt, selbst durch seinen oder ihren Lebensstil verursacht hat, sodass er oder sie nur an sich selbst arbeiten muss, um diesen Zustand zu ändern, dann gibt es nie eine Heilung. Vielleicht für kurze Zeit eine Besserung mit Medikamenten, aber Heilung kann nur erfolgen, wenn die Ursache all dieser Beschwerden beseitigt wird. Und die Ursache ist der Narzisst (oder manchmal sind es auch mehrere Narzissten. Es gibt ganze Familien, die narzisstisch sind), der das Leben des Patienten oder der Patientin zur Hölle macht.

Oftmals gibt es nur eine Therapie, zu der man raten kann: den Kontakt zu der narzisstischen Person völlig abbrechen, diese Person ganz aus seinem Leben streichen. Aber das ist nicht immer so einfach.