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»Schau mal, Michelle, hast du das schon gesehen?« Gina zog sie am Arm zur Seite und zeigte auf einen Aushang am Schwarzen Brett.
»Was soll das sein?« Michelle stellte sich neben sie und sah auf das Papier. »Stellenausschreibung für persönliche Assistentin der Abteilungsleitung«, las sie leise und legte einen Finger ans Kinn. »Das ist meine Chance.« Sie sah kurz um sich, schnappte sich das Blatt und zog es vom Brett herunter.
»Was machst du denn da?«, protestierte Gina. »Du kannst das doch nicht einfach runternehmen!«
Michelle neigte ihren Kopf und sah ihre Freundin schräg von der Seite an. »Siehst du denn nicht, Gina? Das ist ein Wink des Schicksals!«
Gina stieß einen Seufzer aus. »Hast du die Hoffnung noch immer nicht aufgegeben?« Sie schüttelte den Kopf. »Natürlich nicht. Deine schmachtenden Blicke haben ja bis heute nicht aufgehört.«
Michelle stutzte. »Ist das so offensichtlich?«
»Ach, Süße. Ja, ist es.« Gina nickte. »Auch wenn ich es nicht verstehe. Ich dachte, dass du sie dir längst aus dem Kopf geschlagen hättest.« Sie zeigte auf das Blatt Papier in Michelles Hand. »Was willst du denn jetzt damit erreichen?«
Michelle spürte ihr Herz, das unregelmäßig in ihrer Brust schlug. Sie warf einen kurzen Blick zu der geschlossenen Bürotür, hinter der Danela an ihrem Schreibtisch saß. »Ja, sie geht mir nicht mehr aus dem Kopf.« Sie hob eine Hand, als Gina etwas entgegnen wollte, und fuhr schnell fort: »Es ist mir egal, was ich gesagt habe oder was sie gesagt hat. Ich spüre einfach, dass sie anders ist. Und ich möchte so gern herausfinden, warum sie sich so hart und unnahbar gibt, wo sie doch so wunderbar zärtlich sein kann.« Sie senkte den Kopf, damit Gina nicht sehen konnte, dass ihr die Röte in die Wangen schoss.
Gina seufzte. »Und jetzt denkst du, als ihre Assistentin hast du mehr Chancen. Wenn sie dich denn überhaupt nimmt.« Sie legte ihre Stirn in Falten. »Ich an ihrer Stelle würde es jedenfalls nicht.«
Michelles Kopf ruckte hoch. Mit aufgerissenen Augen sah sie Gina an. »Wie meinst du das?«
»Sie will offensichtlich nichts mit dir zu tun haben.« Gina wiegte ihren Kopf hin und her. »Und da meinst du, sie setzt dich in ihr Vorzimmer?«
»Gina!«, erboste sich Michelle. »Ich dachte, du wärst meine Freundin und würdest mich unterstützen! Weißt du was? Ich bewerbe mich, und du wirst sehen, ich werde recht behalten!« Trotzig wandte sie sich ab und stampfte in Richtung ihres Schreibtisches los.
»Ach, Michelle!«, rief Gina ihr hinterher. »Meine Güte, du bist ein hoffnungsloser Fall.« Sie strich sich seufzend durch die Haare und lief ihr nach. Dann schnappte sie sich ihren Bürostuhl und rollte an Michelles Tisch heran. »Na los, dann lass uns mal an deinem Lebenslauf feilen, damit deine Angebetete gar keine andere Wahl hat, als dich zu ihrer Assistentin zu machen.«
»Du hilfst mir?« Freudestrahlend sah Michelle ihre Freundin an.
»Wozu sind Freunde denn da?« Gina grinste verschmitzt. Sie nahm sich die Ausschreibung und las sie aufmerksam durch. Wieder ernst geworden runzelte sie die Stirn und wedelte mit dem Papier vor Michelles Nase herum. »Und du bist dir ganz sicher, dass du den Anforderungen hier gewachsen bist? Und damit meine ich nicht nur die beruflichen Anforderungen, sondern vor allem die Tatsache, dass du den ganzen Tag mit Danela verbringen wirst. Hast du darüber richtig nachgedacht?«
Michelle spürte eine leichte Unsicherheit an ihr nagen. Die Arbeit würde ihr keine Probleme bereiten, dessen war sie sich sicher. Doch der Gedanke, mehr Zeit mit Danela zu verbringen, ihr täglich nahe zu sein, wurde immer beängstigender. Ihre anfängliche Euphorie verblasste.
Gina musterte sie eine Weile, dann legte sie ihr die Hand auf den Arm und drückte ihn aufmunternd. »Was hast du denn zu verlieren? Wenn es nicht funktioniert, wechselst du halt den Job.«
Michelle atmete tief durch. »Du hast recht. Ich mache es. Jetzt gibt es allerdings nur noch ein Problem.« Sie zeigte auf die Ausschreibung. »Wie bekomme ich Danela dazu, mich einzustellen?«
Gina gluckste leise, zerknüllte kurzerhand das Blatt und warf es in den Papierkorb. »Wer außer dir wird sich denn noch bewerben? Nun muss sie dich nehmen, ob sie will oder nicht.«
Verblüfft starrte Michelle auf den Papierkorb, dann verzog sie schelmisch die Mundwinkel. »Du bist echt ausgefuchst, Gina.«
Den ganzen Vormittag ging Michelle die Bewerbung nicht mehr aus dem Kopf. Sie wägte Pros und Kontras ab, doch am Ende überwog einfach nur ihr Wunsch, Danela nah zu sein.
So abwegig es ihr selbst auch vorkommen mochte, vielleicht würde sie auf diese Weise wirklich mehr von der geheimnisvollen Frau erfahren. Und wer weiß, vielleicht könnte sie sie schließlich doch für sich gewinnen . . .
Wow, mal langsam, meldete sich ihr inneres Teufelchen. Nicht dass du dich hier vergaloppierst. Erst mal musst du den Posten als ihre Assistentin auch bekommen, und dann steht dir immer noch ein langer Weg bevor.
Doch Michelle wischte diesen Gedanken beiseite und war fest entschlossen, die Bewerbung durchzuziehen.
In der Mittagspause feilte sie mit Gina an ihrem Lebenslauf und packte alles in eine dünne Mappe.
Kurz vor Feierabend fand sich Michelle schließlich erneut in dem dunklen Vorzimmer wieder und starrte auf Danelas Tür. Tief sog sie die Luft in ihre Lungen und hielt sie dort fest, bis es beinahe schon schmerzte. Bist du dir wirklich sicher? Ja, ich bin mir sicher.
Sie klopfte sie gegen das schwere Holz.
»Herein«, ertönte es von drinnen und Michelle drückte die Tür auf.
Danela saß hinter ihrem Schreibtisch und sah ihr über den Rand ihrer Brille entgegen. »Frau Brunner?«
Michelle trat an den Schreibtisch und hielt Danela etwas zögerlich die Mappe entgegen.
»Was ist das?« Danela streckte ihre Hand aus und nahm ihr die Mappe ab. Sie sah nur kurz hinein, legte ihre Brille vor sich auf den Tisch und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Mit gefalteten Händen betrachtete sie Michelle, die weiter stumm vor dem Schreibtisch stand. »Ich bin überrascht, Frau Brunner. Mit einer Bewerbung von Ihnen habe ich nicht wirklich gerechnet.«
»Ist der Gedanke so abwegig?« Michelle hob den Kopf und erwiderte fest Danelas Blick. Sie hoffte still, dass Danela ihr ihre innere Anspannung nicht ansah.
Ein leichtes Zucken um ihre Mundwinkel war die einzige Emotion, die Danela sich erlaubte. »Nun, um ehrlich zu sein, Frau Brunner, ich hatte bereits mit dem Gedanken gespielt, Sie zu fragen, ob Sie den Posten nicht übernehmen würden.«
»Oh.« Michelle erinnerte sich an den Moment am vergangenen Freitag, als Danela sie noch einmal zurückgerufen, dann aber doch nichts gesagt hatte. Wollte sie dich damals fragen? Aber warum hat sie es dann doch nicht getan?
»Ich habe Ihnen schon einmal gesagt, dass ich der Ansicht bin, dass Sie großes Potenzial haben.« Sie nahm Michelles Mappe und blätterte sie durch. »Und wie ich sehe, haben Sie sich mit meinen Anforderungen auseinandergesetzt und entsprechend ihre Vorzüge aufgelistet.« Sie hob den Blick und sah Michelle ernst an. »Sind Sie sich sicher, dass Sie mit mir arbeiten können?«
»Absolut«, antwortete Michelle ohne zu zögern.
»Gut.« Danela stand auf und trat auf Michelle zu, die ihr gespannt wie ein Flitzebogen entgegensah. »Ich schlage vor, wir probieren es einfach zwei Monate miteinander. Dann sollten wir wissen, ob wir zusammenarbeiten können. Was meinen Sie?«
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