Warum war sie auf einmal wieder so gutgelaunt? Hatte Tyne diese Wirkung auf sie?

Als sie an der erheblich größeren Frau vorbeiging, nahm sie ihren Geruch wahr. Das erste Mal richtig.

Es war kein männlicher Geruch, wie sie ihn von Ken, ihrem Vater oder anderen Männern gewöhnt war.

Und doch konnte man ihn auch nicht direkt als weiblich bezeichnen. Parfüm war das nicht. Wahrscheinlich eher Duschgel.

Der Duft des Duschgels mischte sich jedoch mit dem, was vermutlich Tynes ureigener Geruch war. Und das Ergebnis war irgendwie . . . angenehm.

Sie beschleunigte ihre Schritte in Richtung Küche. »Hier«, erklärte sie, als sie dort angekommen waren, und stellte die Teller in einen Schrank. »Teller, Müslischalen, Suppenschüsseln und so was. Besteck kommt hier rein, und Töpfe hier unten. Daneben die Pfannen. Das ist eigentlich schon alles. So groß ist unser . . .«, sie unterbrach sich, »mein Haushalt nicht.«

»Ich kann auch noch etwas kaufen«, bot Tyne an. »Bisher hatte ich das nur nicht nötig.«

»Natürlich nicht.« Shannon lächelte sie an. »Wenn du meinst, dass etwas fehlt, kannst du das gern beisteuern. Aber ich glaube, so im Großen und Ganzen habe ich alles. Bei der Hochzeit haben mich alle Verwandten, Nachbarn und Freunde mit mehr als genug ausgestattet.« Sie lachte. »Willst du alles für die Küche doppelt und dreifach haben, heirate einfach. Dann erledigt sich das von selbst.«

Wieder zog Tyne den Kopf zwischen die Schultern. Das schien eine typische Geste für sie zu sein. »Darüber habe ich noch nie nachgedacht«, erwiderte sie mit einer eher tonlosen als ausdrucksstarken Stimme. Als hielte sie einen Ausdruck mit Absicht zurück. »Übers Heiraten, meine ich.«

»In der Army war vermutlich nicht viel Gelegenheit dazu«, entgegnete Shannon locker. »Aber seit deiner Entlassung bist du ja in einer anderen Situation.« Wieder lächelte sie Tyne an und fragte sich, warum die den Kopf so gesenkt hielt. War der Boden dreckig? »Jetzt kann das ja noch kommen. Geht manchmal schneller, als man denkt.«

»Bestimmt hast du recht.« Nun hob Tyne den Kopf wieder und sah sie an. Doch gleich darauf blickte sie an ihr vorbei, als wäre ihr vor dem Fenster etwas aufgefallen, das sie unbedingt beobachten wollte. »Aber ich habe es nicht eilig.«

»Willst du keine Kinder?«, fragte Shannon. »Ich wollte immer welche.«

Immer noch blickte Tyne zum Küchenfenster hinaus. Was konnte da nur so Interessantes sein?

Unwillkürlich sah auch Shannon hinaus, aber sie konnte nichts entdecken, was sie nicht schon tausendmal gesehen hatte.

»Das glaube ich«, sagte Tyne. »Zu dir passt es ja auch.«

»Zu dir nicht?« Erstaunt blickte Shannon sie an. »Jede Frau wünscht sich doch Kinder.«

Langsam schüttelte Tyne den Kopf. »Nicht jede Frau.« Sie hob die Hände, als wollte sie um Verzeihung bitten. »Aber damit will ich nichts gegen Kinder gesagt haben. Ich wäre nur keine gute Mutter. Das ist alles.«

»Ich glaube, du irrst dich.« Shannon musterte sie, während Tyne wieder an ihr vorbeiblickte.

Oder schielte sie? War das der Grund?

Nein, Shannon konnte nichts in der Richtung entdecken.

»Wenn die Kinder erst einmal da sind, lernt man das schon. Sagt meine Mutter jedenfalls. Ich kenne mich damit ja noch nicht aus. Ist mein erstes.« Erneut strich sie sich lächelnd über den Bauch. »Aber im Allgemeinen hat meine Mutter recht.«

»Ich würde gern meine Sachen einräumen.« Mit einem Daumen wies Tyne hinter sich. »Ist das okay?«

»Selbstverständlich.« Shannon nickte.

»Danke für die Führung durch die Küche«, rief Tyne im Hinausgehen, war dann jedoch wie der Blitz verschwunden.

Kinder mag sie nicht, dachte Shannon. Das ist schade. Dann werden wir wohl nicht so lange zusammen wohnen.

Aber es war ja ohnehin nur eine Übergangslösung, bis ihr Baby da war. So hatten sie es vereinbart.

Etwas anderes war nie geplant gewesen.

9

Tyne hatte Blut und Wasser geschwitzt bei der Unterhaltung, die für Shannon anscheinend so selbstverständlich war, dass sie gar nicht darüber nachdenken musste.

Frauen wie Shannon dachten auch nicht darüber nach. Und bisher hatte Tyne gedacht, sie müsste ebenfalls nicht darüber nachdenken. Es war einfach nicht ihr Thema.

Irgendwie brachte Shannon alles durcheinander.

Am besten wäre gewesen, Tyne hätte sich ein Zimmer gesucht. Möglichst weit weg von Shannon.

Aber was würde das nützen, wenn sie jeden Tag hierher zur Arbeit kam? Shannon würde immer da sein.

War es ein Glück gewesen, dass sie Tyne diesen Job verschafft hatte, oder eher nicht so?

Über solche Dinge hatte Tyne noch nie nachgedacht. Glück war überhaupt kein Kriterium für sie. Was war das überhaupt?

Aber das war jetzt auch nicht der Punkt. Der Punkt war, dass sie in ein neues Leben hineingeworfen worden war, das sie nicht kannte. Die letzten zwölf Jahre hatte sie in einer völlig anderen Umgebung verbracht.

Dort war alles geregelt und klar gewesen. Sie musste sich keine Gedanken darüber machen, nur Befehle befolgen. Nicht einmal für ihr Essen oder ihre Unterkunft hatte sie die Verantwortung getragen. Das war ihnen alles von oben zugewiesen worden.

Ja, sie war gut gewesen in dem, was sie tat. Im Pionierbataillon hatte sie praktisch alles gelernt, was sie heute wusste und konnte. Sie war sogar befördert worden, weil sie so gut war.

Nie hatte sie Probleme mit Entscheidungen gehabt, wenn es darum ging, eine Behelfsbrücke zu bauen oder einen Weg von Minen freizuräumen. Sie hatte keine Angst davor gehabt, was dabei passieren konnte, solange sie die Risiken einschätzen konnte. Sie war Soldatin wie alle anderen und tat ihre Pflicht. Das war ihre Aufgabe.

Eine Aufgabe im Leben zu haben, sich eine suchen zu müssen, war nie die Frage gewesen. Aufgaben waren da und mussten erledigt werden.

Erst als ihre Zeit bei der Army zu Ende ging, war ihr langsam zu Bewusstsein gekommen, dass das Leben außerhalb der Army eventuell andere Herausforderungen an sie stellen könnte. Kameradinnen und Kameraden, die in der gleichen Situation waren, hatten darüber gesprochen, wie sie zu ihren Familien zurückkehren oder das wieder aufnehmen würden, was sie vor ihrer Armyzeit getan hatten.

Ken war auch so ein Beispiel. Er hatte darüber gesprochen, wie er zu Shannon zurückkehren würde und zu seinem Job. Er hatte ganz genau gewusst, was ihn erwartete, und sich darauf gefreut.

Für Tyne war das ein Rätsel gewesen, das sie allein in ihren Gedanken nicht lösen konnte. Sie musste konkrete Dinge zu tun haben, um so etwas zu beurteilen. Erst wenn ihre Hände etwas anfassten, begriff sie im wahrsten Sinne des Wortes, um was es ging. Der akademische Typ war sie nicht.

Um zu etwas zurückzukehren, das sie zuvor ausgeübt hatte, war Tyne zu jung gewesen, als sie in die Army eintrat. Erst in der Army hatte sie ihren Beruf gelernt, wenn man das so nennen wollte.

Und ihre Familie . . .

Hier brach sie ihre Gedanken ab und dachte wieder an Shannon.

Shannon gründete gerade eine Familie. Zwar hatte sie die eigentlich mit Ken zusammen gründen wollen, aber dieser Gedanke war so tief in ihr verwurzelt, dass sie sicher irgendwann einen anderen finden würde, der Ken ersetzte. Daran hatte Tyne keinen Zweifel.

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