2
»Hey! Ich liebe Frauen in schwarzem Leder!«
Sydney stellte das schwere Motorrad auf den Seitenständer und stieg ab. Sie brauchte Benzin, keine blöden Sprüche. Und die interessierten sie auch nicht. Zielgerichtet steckte sie einen Dollarschein in den Schlitz und betankte ihre Maschine.
Währenddessen kam der Junge näher, der sie angemacht hatte. »Ist das ’ne Harley?«
Während er das fragte, wanderte der Blick seiner wasserblauen Augen abwechselnd über die Maschine und über Sydney. Man konnte nicht genau sagen, was ihn mehr interessierte. Auf jeden Fall stand in seinen Augen die pure Gier.
»Nein, ein Bügeleisen«, antwortete sie gelangweilt, schraubte den Tank wieder zu und hängte die Zapfpistole zurück an die Säule.
»Hey!« Ein klackendes Geräusch sagte ihr ganz genau, was Sache war, ohne dass sie es sah. »Du hast doch bestimmt noch ’n paar Dollar dabei, oder? Sonst kannst du auch mit Karte zahlen.« Er lachte dreckig.
»Was willst du, Junge?« Sydney zog die Motorradhandschuhe, die sie zum Tanken ausgezogen hatte, wieder an. »Ich wollte nur Benzin. Und das habe ich.« Sie ging um ihre Maschine herum auf die andere Seite. »Deshalb fahre ich jetzt weiter.«
»Erst die Kohle!« Er wedelte ihr mit einem Messer unter der Nase herum. Es war das Klappmesser, das sie hatte aufschnappen hören. »Alles, was du hast! Oder ich schlitz dich auf! Und deine Maschine krieg ich noch dazu!«
»Tut mir leid.« Sydney hob langsam die Hände, als wollte sie sich entschuldigen. »Ich hab’ nichts. Und das«, sie schwang ansatzlos ein Bein in die Höhe, und sein Messer flog durch die Luft, »ist kein Messer. Das ist ein Zahnstocher.«
Entgeistert starrte er sie an. Erst dann schien er den Schmerz von dem Schlag zu spüren und stöhnte auf. »Du verdammte Schlampe!«, brüllte er kreischend wie eine Kreissäge und wollte auf sie zustürzen.
»Mensch, Junge . . .« Sydney hielt ihn gar nicht erst auf, sondern ließ ihn ins Leere laufen. An sich vorbei. »Kapierst du’s immer noch nicht?« Sie schwang sich auf ihre Maschine, während er schon fast am Rand der Tankstelle, bis zu dem er gelaufen war, versuchte, sich aufzurappeln. »Such dir ’ne andre Karriere.«
Und damit startete sie und zeigte ihm den Auspuff.
Immer wenn Sydney in eine neue Stadt kam, war sie vorsichtig. Man konnte nie wissen, was einen erwartete. Zwar sahen diese Käffer alle irgendwie gleich aus, aber jedes Einzelne hatte so seine Besonderheiten.
Manchmal war es der Sheriff, der keine Motorräder mochte – und schon gar keine Frauen auf Motorrädern –, manchmal waren es irgendwelche Jugendlichen, die sie belästigten wie dieser Junge an der Tankstelle. Manchmal waren es die Frauen, die eine Frau wie Sydney nicht mochten und den ganzen Stadtrat mobil machten, um sie wieder loszuwerden.
Doch bis auf den Jungen, den sie schon in ihrem Staub hatte husten lassen, würde hier nichts passieren, beschloss sie. Dieses Kaff war nur eine Durchgangsstation nach Vancouver. Ein Ort, der zufällig an der Straße lag und in dem sie jetzt gern etwas gegessen hätte. Wenn es hier etwas Genießbares gab.
Sie ließ ihre Maschine langsam und leise die Hauptstraße entlangrollen. Sie wollte kein Aufsehen erregen. Nicht über das hinaus, das sie ohnehin erregte und das sie nicht vermeiden konnte.
Endlich sah sie ein Diner-Schild am Straßenrand.
Leider war an der Tankstelle kein Diner gewesen, sonst hätte sie da gegessen. Das wäre unauffälliger gewesen. Aber es war eine Selbstbedienungstankstelle ohne persönlichen Service. Es gab nicht einmal einen Sandwich-Automaten, aus dem sie etwas hätte ziehen können.
Also hielt sie an und positionierte ihre Maschine auf einem markierten Parkplatz direkt vor dem Eingang. Viel war hier nicht los. Nur wenige Parkplätze an der Hauptstraße waren besetzt. Und das zur Mittagszeit. Gingen die hier alle nach Hause zu Mama zum Essen?
Das interessierte Sydney jedoch nicht wirklich. Sie wollte nur ihren knurrenden Magen beruhigen. So lange, wie sie gefahren war, war das langsam nötig. Und bevor sie nach Vancouver kam, wollte sie das erledigt haben. Dort musste sie sich erst einmal zurechtfinden, während das hier alles sehr . . . übersichtlich war.
Nachdem sie abgestiegen war und während sie noch dastand und ihre Motorradhandschuhe auszog, sah sie sich um. Ja, wirklich. Sehr übersichtlich. Sie fragte sich, wie man in so einem Nest leben konnte, ohne verrückt zu werden.
Aber vielleicht wurden hier auch alle verrückt. Nur war das normal und keiner merkte es. Die Verrückten hielten sich für normal, und die Normalen hielten sie für verrückt. Aber so war ja eigentlich die ganze Welt. Nichts Neues.
Sie hängte ihren Motorradhelm an den Lenker, weil sie nicht erwartete, dass ihn hier jemand stehlen würde, und ging in das Diner hinein.
»Das gibt es doch nicht!« Ungefähr eine Stunde später kam sie wieder aus dem Diner heraus, das wie üblich nicht viel mehr als Hamburger und Pommes zu bieten gehabt hatte, aber sie hatte keinen sehr anspruchsvollen Geschmack.
Jetzt starrte sie jedoch mit zusammengepressten Kiefern auf ihr Motorrad. Den Helm hatten sie nicht gestohlen, das musste man ihnen lassen. Aber sie hatten Teile vom Motor gestohlen. Und den Anlasser. So bekam sie das Ding nicht mehr in Gang.
Unglaublich. Damit hatte sie jetzt nicht gerechnet. Da musste sie wohl schieben.
Eigentlich hätte sie das Ganze auch dem Sheriff melden müssen. Oder wie auch immer das hier in Kanada hieß. Inspector, Constable? Sie hatten hier das britische System. Damit kannte sie sich nicht aus.
Aber mit den Behörden wollte sie nichts zu tun haben. Sie musste eine Werkstatt finden, die ihr Ersatzteile besorgte. So schnell wie möglich.
Während sie die schwere Maschine über die Straße schob, kam eine junge Frau aus einer Bank heraus. Jedenfalls nahm Sydney an, es war eine Bank, weil groß und breit Langley Bank über dem Eingang stand. Das Gebäude war eines derjenigen am Straßenrand, die so aussahen, als wären sie aus einem Film übriggeblieben. Jedenfalls nicht neu gebaut.
Normalerweise hätte Sydney gar nicht so genau hingesehen, weil sie auf ihre Maschine konzentriert war, aber der helle Ton der Haare und wie sie herumflogen, ließ sie einen Blick aus dem Augenwinkel werfen, der dann an der Frau hängenblieb.
Sie fand Blondinen, die so aussahen, gleich beim ersten Anblick nervig. Denen konnte man schon von Weitem ansehen, was sie von sich selbst und anderen hielten.
Und diese Frau bestätigte das sofort, indem sie abschätzig die Mundwinkel verzog. Offenbar hielt sie nichts von Motorrädern. Oder von Frauen, die ihre Motorräder schoben.
Ihre Augen blitzten schadenfroh. Als wollten sie sagen: Das hast du verdient.
Was eine Unverschämtheit war, da sie Sydney gar nicht kannte und nicht wissen konnte, was sie verdient hatte oder nicht.
Aber im Grunde war das Sydney völlig egal. Solche Frauen waren ihr völlig egal.
Die sollte doch bleiben, wo der Pfeffer wächst, die dumme Pute.
Mit einem tiefen Einatmen, um Kraft zu sammeln, wandte sie die Augen wieder zur Straße und schob ihr Motorrad weiter.
3
Mackenzies Mittagspause verlief immer gleich. So wie ihr ganzes Leben immer gleich verlief. Wenn sie nicht nach Vancouver fuhr, um mal eine Nacht etwas anderes zu sehen. Etwas anderes zu tun.
Das konnte sie meistens nur am Wochenende. Was eine lange Woche bedeutete, in der nichts passierte. Nichts Besonderes. Nichts Abwechslungsreiches. Nichts, was irgendwie Spaß machte. Bis endlich Freitag war.
Wie oft hatte sie danach gern in Vancouver bleiben wollen. Sie hatte sogar schon mal versucht, in Vancouver Arbeit zu finden. Aber so einen Job wie in Langley würde ihr dort niemand geben. Und als Kellnerin wollte sie nicht arbeiten.