Es war ja nicht für immer. Sydney war nur für ein paar Tage hier, dann würde sie weiterfahren. Und sie war offenbar auf der Suche nach Abwechslung, genauso wie Mackenzie.
Wenn Mackenzie sich auf etwas einließ, würde sie das zu nichts verpflichten. Aber vielleicht würde sie dieses Sehnen aus ihrem Körper bekommen, das sie halb verbrannte. Dann konnte sie ihre Ruhe wiederfinden und weitermachen, bis sie hoffentlich einen Job in Vancouver fand.
Diesmal war es, als wäre Vancouver zu ihr gekommen. Sie musste noch nicht einmal hinfahren.
Wäre es nicht dumm gewesen, so ein Angebot auszuschlagen?
10
Schneller geht es wirklich nicht?« Sydney wusste, dass die Frage völlig überflüssig war, denn Ted hatte sie schon beantwortet, aber sie stellte sie trotzdem.
Wie schon zuvor schüttelte er den Kopf, während er seine ölverschmierten Hände an einem Tuch abwischte, das fast noch öliger erschien. »Ist nicht mehr ganz neu, die Maschine. Da ist es schwierig, Teile zu kriegen.«
»Ich frage mich, welche Idioten die Teile geklaut haben.« Unzufrieden fuhr Sydney sich durch die Haare. »Einiges davon passt doch wirklich nur für dieses Modell.«
Er nickte. »Ich könnte mir schon vorstellen, wer das war. Die Buckley-Jungs. Die klauen wie die Raben. Den älteren, Jimmy, hatte ich mal hier in der Lehre letzten Winter. Ich dachte, er wollte wirklich was lernen. Und er ist ungeheuer geschickt. Könnte ein guter Mechaniker sein, vielleicht sogar seinen eigenen Laden haben. Aber das sind Traveller. Die bleiben nur den Winter über an einem Ort, dann ziehen sie weiter. Und nehmen alles mit, was nicht niet- und nagelfest ist. Ob es ihnen gehört oder nicht.«
»Traveller?«, fragte Sydney. »So wie Nomaden?«
»Ja.« Er nickte wieder. »Sie ziehen herum, haben kein Sitzfleisch. Aber handwerklich sind sie oft sehr geschickt. Nur wenden sie das meistens höchstens dazu an, andere zu beklauen oder zu betrügen.« Er holte tief Luft und stieß sie wieder aus. »Ist schon schade. Ich mochte Jimmy wirklich. Sein kleiner Bruder ist nicht so gut, aber er läuft Jimmy hinterher wie ein Hündchen. Wahrscheinlich versucht er, alles von ihm zu lernen, was er kann.«
»Zu klauen?« Sydney hob die Augenbrauen. »Schöne Lehre.«
»Tja.« Ted zuckte die Achseln. »So sehen die das nicht. Die haben ganz andere Vorstellungen als wir. Ihr Clan bedeutet ihnen alles. Alle anderen sind Außenseiter. Und denen gegenüber hat man keine Verpflichtung. Hab ich auch lernen müssen.« Bedauernd hob er die Schultern. »Obwohl ich Jimmy gut behandelt habe, ihm eine Menge beigebracht habe, hat er dann einen Haufen Zeugs mitgenommen, was ihm nicht gehörte, als sie das Winterquartier hier abgebrochen haben. Von denen stelle ich bestimmt nie wieder jemanden ein.«
»Verständlich«, sagte Sydney. »Aber jetzt ist doch nicht Winter, sondern Sommer. Wieso verdächtigen Sie die beiden?«
»Weil ich sie gesehen habe«, sagte Ted. »Sind hier rumgeschlichen. Ich habe sie vertrieben, aber das heißt ja nicht, dass sie nicht wiederkommen. Sie fahren ständig herum, und anscheinend sind sie im Moment gerade wieder hier in der Nähe. Vielleicht nicht für lange. In Langley gibt es nicht so viel zu holen. Aber das eine oder andere werden sie mitnehmen wollen.« Er schaute zum Tor. »Ich werde hier jedenfalls gut abschließen. Und Ihre Maschine kommt in einen Extraschuppen mit zusätzlichem Schloss. Es sei denn, Sie wollen sie selbst irgendwo unterbringen.«
»Wo?«, fragte Sydney. »Ich kenne mich hier nicht aus. Da sind Sie meine erste Wahl.« Sie lächelte leicht. »Obwohl ich gerade überlegt habe, ob ich nicht neben meiner Maschine schlafen soll. Wäre nämlich wirklich nicht gut, wenn die verloren ginge. Ich hänge daran. Hab sie schon lange.«
»Klar. Ist ein klassisches Modell.« Bewundernd ließ Ted seinen Blick über das schwarze Motorrad schweifen. »Die gibt es ja gar nicht mehr.«
»Weshalb es so schwierig ist, Ersatzteile dafür zu bekommen«, seufzte Sydney. »Sie haben nicht vielleicht eine Idee, wo ich diese Buckley-Jungs in die Finger kriegen könnte? Sind sie wieder da, wo sie ihr Winterquartier hatten?«
»Könnte sein«, sagte Ted. »Weiß ich nicht.« Er zuckte erneut die Schultern. »Die sind wie die Heuschrecken. Fallen ein, grasen alles ab und sind genauso schnell wieder verschwunden.« Er ging zu einem anderen Motorrad, das er gerade instand setzte. »Wenn Sie’s versuchen wollen, der Platz ist circa zehn Kilometer südlich der Stadt. Aber seien Sie vorsichtig. Die beißen zu wie Ratten, wenn sie in die Enge getrieben werden. Und sie halten alle zusammen. Selbst die Behörden halten sich da fern, wenn sie können. Da haben Sie allein keine Chance.«
Sydneys Mundwinkel zuckten. »Das werden wir noch sehen«, sagte sie. »Danke für den Tipp.« Mit leicht schiefgelegtem Kopf sah sie Ted an. »Zehn Kilometer südlich der Stadt«, überlegte sie laut. »Gibt es hier so etwas wie eine Autovermietung?«
»Ich würde Ihnen ein Motorrad leihen, hab aber im Moment keins da, das fährt«, sagte Ted. »Sie könnten es mal bei Jeff Barnes versuchen. So eine richtige Autovermietung ist das nicht, Jeff ist aber Sammler. Manchmal repariert er auch was. Er hat vielleicht was da, was er Ihnen leihen kann.« Er lachte. »Ist aber ein alter Brummbär. Lassen Sie sich nicht täuschen. Er wird Ihnen erzählen, dass Sie noch nicht einmal gut genug Autofahren können, um eins seiner Schätzchen wert zu sein. Wenn er Sie mag, gibt er Ihnen aber bestimmt eins. Ist ganz am anderen Ende der Stadt, auf der westlichen Seite. Bei den Lagerhallen hinter dem Supermarkt.«
»Na, dann werde ich mal meinen Charme spielen lassen, um ihn davon zu überzeugen, mir zu helfen«, scherzte Sydney lachend. »Danke, Ted. Vielleicht bin ich schon bald mit den Ersatzteilen zurück.«
Sie ging aus der Werkstatt hinaus und forschen Schrittes Richtung Stadt. Jetzt hatte sie wieder ein Ziel. Und wenn ihre Maschine vor dem Wochenende repariert wäre, konnte sie vor dem Wochenende schon von hier weg sein, nicht erst nächste Woche.
Von diesen Travellern hatte sie schon mal gehört. Sie stammten wohl ursprünglich aus Irland, hatten eine eigene Sprache und eigene Sitten. Lebten in Familienclans wie vor Hunderten von Jahren.
Wenn man in dieses Leben hineingeboren war, kam man sein ganzes Leben nicht mehr da heraus. Oder man verlor seine ganze Familie, nähere Verwandte und weiter entfernte, alles, was man kannte.
Schule und Ausbildung waren bei den Travellern auch nicht sehr beliebt, sodass man keine Chance hatte, außerhalb des Clans einen Job zu finden. Wie eine Sekte. Dadurch, dass sie immer unterwegs waren, waren sie schwer zu fassen.
Aber vielleicht würde sie sie trotzdem finden. Und sie traute sich durchaus zu, diesen Jungs ihre Beute wieder abzunehmen.
Clan hin oder her, sie hatte auch ihre Fähigkeiten.
11
»Geht es dir wirklich besser, Tante Anne?« Mackenzie lächelte ihre Tante an, die im Bett lag, aber nicht so aussah, als wollte sie da lange bleiben.
»Das siehst du doch, Kind«, antwortete sie etwas ungnädig. »Lasst mich bloß mit dem Kamillentee in Ruhe!« Doch im nächsten Moment lächelte sie auch. »Du kannst ruhig wieder in die Stadt fahren. Wie soll Mr. Clarke denn ohne dich in der Bank zurechtkommen? Er vermisst dich bestimmt schon.«
Ihre Tante hatte ganz entschieden eine falsche Vorstellung von Mr. Clarke, aber darüber wollte Mackenzie jetzt nicht diskutieren. »Auf eine Stunde mehr oder weniger kommt es nicht an«, beruhigte sie ihre Tante. »Ich bleibe so lange hier, bis du aufstehen kannst.«
»Ich kann aufstehen«, behauptete Anne Devlin und trat auch gleich den Beweis an, indem sie die Bettdecke zurückwarf und die Beine aus dem Bett schwang. Auch wenn sie dabei die Zähne aufeinanderbiss. »Ich brauche nur meinen Kaffee. Hast du welchen gemacht?«