Das wäre mehr Arbeit und weniger Geld gewesen. Weit weniger Geld. Dabei kam sie schon jetzt kaum damit aus. Ihr Gehalt war eher bescheiden. Aber sicher. Und sie war nicht auf Trinkgelder angewiesen, um überhaupt auf den Grundlohn zu kommen.
Nach der Mittagspause schickte Clarke sie auf einen Botengang. Eigentlich war das nicht ihre Aufgabe als Kassiererin – es sei denn, es hätte sich um Geld gehandelt –, aber Clarke sah das nicht so eng. Er hielt sie für eine dumme Blondine, die man für alles einsetzen konnte. Botengänge, Kaffeekochen . . .
Eine weitere Sache, die sie hasste. Unter anderem deshalb, weil sie noch nicht einmal Kaffee trank. Abgesehen davon, dass Männer, die meinten, Frauen müssten für sie Kaffee kochen, die allergrößten Idioten waren, und für so jemanden zu arbeiten war eigentlich eine Schande, wenn man sich nicht selbst als einen Idioten betrachtete.
Andererseits kam sie gern aus der Bank heraus, und jeder Botengang war ihr recht, um an die frische Luft zu kommen. Also sah sie das Ganze pragmatisch und genoss die bezahlte Freizeit.
Denn sie konnte den Botengang länger hinauszögern, als er gedauert hätte, hätte sie ihn einfach nur erledigt. Meistens war es nichts Dringendes, und Clarke wusste kaum noch, dass er sie überhaupt weggeschickt hatte, geschweige denn wann, wenn sie zurückkam.
Sie kannte den Blick auf die Straße genau, wenn sie aus der Tür trat. Manchmal fuhr ein Auto vorbei, aber das blendete sie meistens aus. Sie kannte die Häuser auf der anderen Seite, die Farben, die Höhe, die Abstände. Alles war immer exakt gleich. Bis auf die Unterschiede, die durch das Wetter entstanden, Sonnenschein oder Regen, Winter oder Sommer.
Aber ein schweres Motorrad, das von einer Frau in schwarzer Lederkluft langsam die Straße entlanggeschoben wurde, das gehörte nicht zu dem Bild, zu keiner Jahreszeit und bei keinem Wetter.
Sie stutzte und betrachtete das Bild kurz überrascht. Dann musste sie grinsen. Die Frau sah angestrengt aus. Und unzufrieden. Aber was vergaß sie auch zu tanken? Bei so einer schweren Maschine?
Sie wirkte ziemlich groß. Und athletisch. Ihre Schultern sprengten fast die Nähte der Motorradmontur. Das war dann wohl ein Fall von viele Muskeln, kein Verstand.
Mackenzie hätte fast den Kopf geschüttelt. Solche Frauen waren genauso blöd wie Männer. Vermutlich würde die auch von ihr erwarten, dass sie ihr Kaffee kochte und Botengänge für sie erledigte. Während sie sich auf die Couch fläzte und die Füße hochlegte.
Gut, dass sie jetzt wenigstens die Maschine schieben musste.
Das hatte sie verdient.
Wie immer versuchte Mackenzie, den Botengang so lange auszudehnen, wie sie konnte. Sie wollte erst kurz vor Ende der Banköffnungszeit zurück sein. Dann konnte sie direkt in den Feierabend gehen.
Clarke würde sowieso nichts merken. Sie konnte ihm sagen, sie wäre erst vor einer Viertelstunde gegangen, und er würde es ihr glauben. Manchmal dachte sie, er litte an Alzheimer. Aber das war es nicht. Er war einfach nur eingebildet und unaufmerksam. Was wirklich wichtig war, bekam er nie mit.
Sie war in ihrer unverhofften verlängerten Mittagspause weit herumgelaufen, weil das Wetter so schön war wie selten. Wenn man auf einer Farm aufgewachsen war, konnte man das noch so sehr versuchen abzustreifen, man war viel Bewegung an frischer Luft gewöhnt.
Das Arbeiten hinter einem Schreibtisch oder an einem Bankschalter konnte einen nicht dafür entschädigen. Selbst wenn man noch so viel Geld zählte. Es gehörte einem ja sowieso nicht. Deshalb war es völlig bedeutungslos.
Auf der Farm hatte sie gelernt, mit Geld umzugehen. Weil nie welches da war und man jeden Cent umdrehen musste. Deshalb störte sie ihr kleines Gehalt auch nicht so sehr, wie es vielleicht andere gestört hätte. Sie kam damit aus, weil sie vieles konnte, was man ihr bei ihrem Aussehen gar nicht zutraute, wie zum Beispiel Nähen.
Zwar hätte sie gern in Vancouver gelebt, aber es war nicht ein Leben in Luxus, das sie sich erträumte. Es war ein Leben in Freiheit und Unabhängigkeit. Sie war keine verwöhnte Stadttussi, sie war ein Mädchen vom Lande. Auch wenn sie in den Augen mancher Leute so aussah, als wäre sie einem Film entsprungen.
Das hieß aber nicht, dass jeder mit ihr machen konnte, was er wollte.
Während sie an den Freitag dachte, an dem sie wieder nach Vancouver fahren würde, drehte sie um und wollte zur Bank zurückgehen.
Das heißt, sie wollte umdrehen, aber die Toreinfahrt, vor der sie das tat, spuckte plötzlich ein Hindernis aus. Sie hatte es nicht kommen sehen und wurde fast davon umgeworfen.
»Verdammt noch mal, können Sie nicht aufpassen?«, wurde sie unfreundlich angeblafft.
Für einen kurzen Moment wusste sie nicht, was sie sagen sollte, aber dann erkannte sie die Lederkluft. »Ich?«, erwiderte sie in einem Akzent, der die andere umhauen musste.
Sie übte das manchmal vor dem Fernseher. Mit Serien, in denen die Schauspieler aus England stammten. Viele Leute in Kanada hatten einen britisch angehauchten Akzent, aber keiner war so gut wie der, den sie beherrschte, wenn sie wollte.
»Sie sind doch in mich hineingelaufen.«
»Und Sie haben wohl Tomaten auf den Augen!«, kam es unwirsch zurück. Das war definitiv kein britischer Akzent. Die Frau kam aus den Staaten. Aber das hatte Mac schon am ersten Satz gehört, den sie von sich gegeben hatte. »Oder zu viel Make-up. Ist wohl verlaufen und hat Ihnen die Sicht genommen.«
Mackenzie fand diese Frau einfach unglaublich. Unglaublich unverschämt. Sie war eindeutig die Schuldige, weil sie nicht aufgepasst hatte, aber sie wollte die Schuld Mackenzie in die Schuhe schieben. Wie sie es sich gedacht hatte: viele Muskeln, kein Verstand.
Mackenzie verschränkte die Arme vor der Brust. »Vielleicht haben Sie ja Motoröl in die Augen bekommen. Als Sie Ihr Motorrad schieben mussten.« Sie beugte sich leicht vor. »Oder es war eine zu große Anstrengung für Sie. Trotz Ihrer Muskeln. Deshalb haben Sie mich nicht gesehen.« Mit gespitzten Lippen legte sie leicht den Kopf schief. »Sie hätten sich vielleicht ein bisschen ausruhen sollen, um erst einmal wieder zu Kräften zu kommen.« Wenn sie eins wusste, dann dass Muskelprotze es hassten, wenn man ihnen Schwäche unterstellte.
Die andere sah überrascht aus. Dann grinste sie. Dreist. Selbstgefällig. »Ich dachte immer, Rauschgoldengel beißen nicht.«
Statt sich zu entschuldigen, setzte sie noch einen drauf. Mackenzie war ja vieles gewöhnt, aber diese Frechheit schlug dem Fass den Boden aus. Sie holte tief Luft. »Dieser beißt. Darauf können Sie wetten!«
»Ich seh’s«, sagte die andere. »Lassen Sie mich raten. Homecoming Queen? Cheerleader?« Unverfroren verschränkte die Amerikanerin die Arme und sah sie mit vergnügt blitzenden Augen an. Anscheinend fing die Sache an, ihr Spaß zu machen.
»Und?«, schnappte Mackenzie. »Was ist schlimm daran?«
»Oh, gar nichts.« Die Frau in der Lederkluft grinste immer noch unverschämt. Ihre Mundwinkel zuckten, als wollte sie gleich in einen Lachanfall ausbrechen. Oder zubeißen. »Gar nichts natürlich. So was muss es ja auch geben.«
»Wie bitte?« Am liebsten hätte Mac zugeschlagen. Aber so etwas tat ein Rauschgoldengel nun wirklich nicht.
Dennoch stieg die Wut in ihr hoch wie kochende Lava, und sie suchte ein Ziel dafür. Das Schienbein der Angeberin in Leder? Ein kleiner Kick, damit sie den Schmerz spürte?
Aber diese Genugtuung würde sie einer Fremden von der anderen Seite der Grenze nicht geben. Also versuchte sie, sich wieder zu beruhigen. Ein Gossenkind ohne Manieren aus den Staaten konnte einer Lady aus Kanada nichts anhaben. Das fehlte noch, dass Mackenzie ihr zeigte, wie sehr sie sie aufgebracht hatte.