In diesem Moment veränderte sich die Körperhaltung der anderen, sie ließ ihre Arme fallen und neigte leicht den Kopf. Ihre Lippen waren spöttisch verzogen, als sie sagte: »Sie haben recht. Das geht mich natürlich überhaupt nichts an.«
Dann ging sie an Mackenzie vorbei zurück zur Hauptstraße. Man hätte das, was die Amerikanerin gesagt hatte, für eine Entschuldigung halten können, aber ihre spöttisch verzogenen Lippen sprachen dagegen. Sie hatte sich über Mackenzie lustiggemacht, sie nicht ernstgenommen.
Was nichts Neues war, sie aber von dieser Fremden besonders ärgerte. Was nahm die sich heraus?
Doch ein Blick auf die Uhr zeigte Mac, dass sie jetzt schnell in die Bank zurückmusste.
Sonst kam sie erst nach Feierabend an.
Und das würde selbst ein Trottel wie Mr. Clarke merken.
4
Sydney ärgerte sich, dass sie nicht gleich bis Vancouver durchgefahren war. Da hätten sie die Ersatzteile bestimmt sofort besorgen können, während der Typ hier in der Werkstatt sagte, es würde Tage dauern, bis er bekam, was sie brauchte. Und es würde wahrscheinlich das Doppelte kosten.
In Vancouver wären ihr die Sachen zudem auch gar nicht erst geklaut worden, weil sie nicht so nachlässig gewesen wäre. Sie hätte ihre Maschine im Auge behalten oder hätte sie in einer bewachten Garage abgestellt. Dass hier in diesem Kaff jemand die Fähigkeiten hatte, die es brauchte, um das alles abzubauen, hatte sie nicht für möglich gehalten.
Was wieder einmal ein Beweis dafür war, dass man nichts und niemanden unterschätzen sollte. Eigentlich sollte sie das in ihrem Leben gelernt haben.
Aber es war anstrengend, jede Minute, jede Sekunde des Tages misstrauisch zu sein. Deshalb hatte sie sich in diesem Städtchen, das ihr so ruhig und friedlich erschien wie der Mond, wohl unbewusst eine Auszeit von diesem Misstrauen gegönnt. Und dafür hatte sie die Rechnung bekommen.
Auf einmal zuckten ihre Mundwinkel ganz von selbst. Niemanden unterschätzen. Das traf wohl auch auf diese angriffslustige Blondine zu.
Es war dieselbe, die aus der Bank getreten war, als Sydney ihre Maschine die Straße entlangschob, und ihr so spöttisch zugelächelt hatte. Der Ort war so klein, da lief man anscheinend ständig in dieselben Leute hinein.
Hineinlaufen war das richtige Stichwort. Sydney hatte sich über die Auskunft des Mechanikers geärgert und deshalb nicht aufgepasst. Die andere musste aber auch geträumt haben, sonst wäre vielleicht nichts passiert.
Ob sie das bedauern sollte? Sydney musste erneut grinsen. Nein, eigentlich nicht. Die Kleine war ziemlich explosiv, und das mochte Sydney durchaus.
Auch wenn es in diesem Fall keine Bedeutung hatte. Sie war nur kurze Zeit hier und auf keinen Fall auf eine Affäre aus, die ihr diese paar Tage unerwünschten Aufenthalt zwar versüßen, aber auch noch mehr Aufmerksamkeit auf sie ziehen würde. Das brauchte sie nicht.
Ob sie mal wieder einen Film hier in so einem Kaff drehten? Sie wusste, dass viele Filmgesellschaften die Gegend um Vancouver herum gern dafür nutzten. Auch viele amerikanische Filmcrews. Weil es hier billiger war zu drehen als in den Staaten.
Sie hatte bemerkt, dass dieses blonde Gift mehrere Akzente draufhatte. Das sprach für eine Schauspielerin. Und so sah sie auch aus. Andererseits . . . Irgendetwas an ihr hatte so gar nichts von Hollywood. Sie wirkte zu . . . normal.
Aber außergewöhnlich gutaussehend, das musste man ihr lassen. Was sie auch wusste. Das hatte Sydney gemerkt. Homecoming Queen und Cheerleader oder vielleicht sogar Captain der Cheerleader, das war bestimmt keine Lüge gewesen. In der Beziehung passte ihr Aussehen genau.
Und Frauen, die so aussahen, hatten normalerweise nichts im Hirn. Schon allein Cheerleader sein zu wollen sprach dafür. Wer wollte das schon? Nur Mädels, die nichts anderes im Sinn hatten als den Quarterback der Footballmannschaft abzuschleppen. Al und Peggy Bundy. Große Lichter auf der High School, kleine Lichter im Leben.
Dennoch hatte sie das Gefühl, diese Frau hatte etwas, das nicht so richtig zu Peggy Bundy passte. Sie hatte Sydneys Angriff recht gut pariert, nicht einfach nur beleidigt herumgeblökt, wie es für solche Frauen typisch war. Wenn sie tatsächlich kein Hirn hatte, hatte sie das gut kaschiert.
Sydney schmunzelte amüsiert. Ja, das war nicht von schlechten Eltern gewesen, wie sie sich gewehrt hatte. Ein unerwartetes Vergnügen.
Aber was auch immer ihr dieses Vergnügen verschafft hatte, wahrscheinlich bildete sie sich alles Übrige nur ein. Weil sie jetzt plötzlich in diesem Nest hier festsaß und nach einer Beschäftigung suchte.
Wonach sie jedoch tatsächlich suchen sollte, das war eine Unterkunft. Denn wenn sie ein paar Tage hierbleiben musste, brauchte sie ein Dach über dem Kopf. Ob es hier irgendwo ein Hotel gab? Hatte sie beim Hereinfahren eins gesehen? Oder als sie ihre Maschine die Straße entlangschob? Sie runzelte die Stirn.
Beim Diner. Ja, richtig. Die vermieteten auch Zimmer. Sie würde einfach dorthin zurückgehen und eins für die nächsten Tage mieten.
Etwas anderes blieb ihr sowieso nicht übrig.
»Haben Sie gar kein Gepäck?«, fragte die Frau im Diner, während sie Sydney misstrauisch musterte.
»Meine Satteltaschen sind noch in der Werkstatt«, gab Sydney zuvorkommend Auskunft, weil sie sich nicht streiten wollte. »Teds Werkstatt. Da steht mein Motorrad, weil es repariert werden muss. Dauert ein paar Tage, sagte Ted, bis er die Ersatzteile hat. Ich werde die Taschen holen, wenn das mit dem Zimmer hier klar ist.«
Die Besitzerin oder Betreiberin des Diners – was auch immer sie war – nickte. Die Leute in Kleinstädten waren Fremden gegenüber immer misstrauisch, und Sydney war eine Fremde, die noch nicht einmal dem üblichen Muster entsprach. Deshalb war diese Frau immer noch argwöhnisch.
Sydneys Lederkluft, ihr Motorrad, ihre ganze Art, das nahm sie nicht für diese vorurteilsbeladene Kleinstädterin ein. Sydney passte einfach nicht in ihr Klischee einer Frau, wie sie sie sich vorstellte. Aber wenigstens schien sie ihr ein Zimmer vermieten zu wollen.
»Bezahlung im Voraus«, verlangte sie jedoch. Sie wollte sich absichern.
»Natürlich.« Sydney zog ein paar Scheine aus der Tasche und legte sie auf den Tresen des Diners, der gleichzeitig die Rezeption für das kleine Hotel war, die Zimmer im ersten Stock.
Das beruhigte die Frau zumindest teilweise. Sie nahm das Geld und steckte es in die Kasse. Dann griff sie hinter sich an ein kleines Schlüsselbord und übergab einen der Schlüssel Sydney. »Nummer 1«, sagte sie. »Wenn Sie die Treppe hochkommen, gleich rechts.«
Sydney nahm den Schlüssel und ging in das Zimmer hinauf. Der Gang war nicht sehr lang, es gab vielleicht insgesamt vier Zimmer hier.
Nachdem sie einen Blick in die Nummer 1 geworfen hatte, war sie ganz zufrieden. Das würde für ein paar Tage genügen. Und jetzt musste sie ihre Satteltaschen holen, bevor die vielleicht auch noch gestohlen wurden.
Besser hätte sie sie gleich mitnehmen sollen. Aber sie war so verärgert gewesen über die Aussicht, ein paar Tage hierbleiben zu müssen, dass sie das vergessen hatte.
Außerdem würde ihr ein Spaziergang zurück zur Werkstatt guttun. Was sonst hatte sie hier schon zu tun? Sie musste die Zeit irgendwie herumkriegen. Und es war ein guter Ausgleich für die vielen Stunden im Sattel ihrer Harley.
Dieses Mal schlenderte sie die Straße bewusster entlang, um sich alles einzuprägen. Es war zwar nicht viel, was sich einzuprägen lohnte, denn die Hauptstraße war wie in so vielen kleinen Städten das Zentrum, um das herum es kaum etwas gab, aber vielleicht entdeckte sie doch etwas, das interessanter war als der Rest.
Diese Blondine zum Beispiel? Ein spöttisches Schmunzeln überzog ihr Gesicht, als ihr das in den Sinn kam. Ja, die wäre vielleicht schon ein bisschen Interesse wert. Unter anderen Umständen.