Lässig drehte Sydney sich zurück und wandte sich wieder ihrem Bier zu, nahm noch einen Schluck, bevor es warm wurde. Nun saß sie mit dem Rücken zu dem Tisch, an dem die Blondine saß. Und dazwischen waren noch etliche andere Tische. Sie würde Sydney gar nicht bemerken. Warum sie das überhaupt tun sollte.

Nach ihren beiden Begegnungen auf der Straße, bei denen sie sich nicht gerade auf Anhieb ineinander verliebt hatten, würde sie das eventuell sogar tunlichst vermeiden, selbst wenn sich die Gelegenheit ergab. Sie fand Sydney entweder lächerlich, weil sie ihr Motorrad schob, oder sie fand sie unhöflich und lästig, weil sie ineinander hineingelaufen waren und Sydney sich nicht dafür entschuldigt hatte.

So etwas erwartete eine Frau wie diese sicherlich. Alle lagen ihr zu Füßen. Das war sie gewöhnt. Etwas anderes ärgerte sie und machte sie gereizt, weil sie sich da nicht ausreichend wahrgenommen fühlte. Wie Sydney es vor der Werkstatt erlebt hatte. Aus einer solchen Reaktion konnte man vieles schließen.

So besonders stolz war Sydney auf ihre eigene Reaktion allerdings auch nicht. Normalerweise hatte sie sich besser im Griff. Es hatte keinen Grund gegeben, die Frau anzublaffen, wie sie es getan hatte. Sie hatten beide nicht aufgepasst und waren deshalb beide schuld an der Situation gewesen, nicht nur eine.

Ein Sorry von beiden Seiten hätte gereicht, aber das war weder ihr noch der anderen in den Sinn gekommen. Diesmal musste Sydney offen schmunzeln, nicht nur innerlich.

Obwohl sie hier bestohlen worden war, benahm sie sich in dieser Stadt weit entspannter, als sie es lange Zeit getan hatte. Sie ließ es zu, ihre Emotionen zu zeigen, dachte nicht vorher darüber nach.

Ob das irgendeine Bedeutung hatte?

7

Mackenzie sehnte sich danach, einmal wieder zu tanzen. Richtig zu tanzen. Mit einer Frau. Aber heute war Mittwoch, und vor Freitag konnte sie nicht nach Vancouver fahren.

Manchmal fragte sie sich, warum sie das überhaupt immer wieder tat. Denn sie fand dort nicht das, was sie suchte. Das hatte sie bisher nur einmal gefunden. Halbwegs.

In ihrem letzten Jahr auf der High School war ein neues Mädchen nach Langley gekommen. Sie stammte aus Québec, hatte einen französischen Akzent beim Sprechen und sprach tatsächlich besser Französisch als Englisch. Francine.

Immer noch dachte Mackenzie manchmal an sie. Francines Familie hatte sie nach Langley geschickt, weil sie sich in Québec einiges geleistet hatte, womit ihre Familie nicht leben konnte. Oder wollte. Sie wollten sie so weit wie möglich von all dem trennen, was in Québec ihr Umfeld gewesen war.

Und das hieß, aus dem kanadischen Osten in den kanadischen Westen. Und nicht in eine Großstadt, sondern in das trostloseste Nest, das sie finden konnten. Wo sie mit ihrer Wildheit – so hofften sie – nicht so viel anstellen konnte. Und dieses Nest war Langley gewesen.

Francine war in Langley eingeschlagen wie eine Bombe. Nichts an ihr war so, wie man es hier kannte. Ihre Art zu sprechen, sich zu bewegen, sich zu kleiden. Ihre Verachtung gegenüber allem, von dem sie dachte, dass es für sie nicht gut genug war.

Davon gab es praktisch keine Ausnahme. Ganz Langley, die High School, die Landschaft, die Menschen waren alle unter Francines Würde. Bis auf Mackenzie. Was selbst Mackenzie damals überrascht hatte.

Wahrscheinlich war die Aufmerksamkeit, die Francine Mackenzie schenkte, Mackenzies Popularität zu verdanken. Deshalb konnte sie nach Francines Meinung ihr als Einzige das Wasser reichen.

Francine stieg immer ganz oben ein. Sie wäre niemals auf den Gedanken gekommen, sich mit jemandem abzugeben, der nicht an der Spitze der Hierarchie stand.

Dass Mackenzie auf einer Farm aufgewachsen war, blendete sie dabei völlig aus. Für Francine zählte nur Mackenzies Aussehen. Mit dem sie sich schmücken wollte.

Mackenzie hatte gar nicht bemerkt, wie Francine andere Menschen manipulierte. Das konnte sie großartig, ohne dass man es sofort wahrnahm. Denn üblicherweise tat das hier in Langley niemand. Die Menschen waren Lügen und Halbwahrheiten nicht gewöhnt. Sie nahmen das meiste für bare Münze.

Da normalerweise sie diejenige war, die bewundert wurde, ihr daran aber nicht viel lag, entging es Mackenzie lange Zeit, dass Francine sie darum beneidete. Deshalb arbeitete sie daran, als Mackenzies beste Freundin angesehen zu werden. Nicht es zu sein. Nur so gesehen zu werden.

Auch Mackenzie war Lügen nicht gewöhnt. Sie log selbst nicht und erwartete auch keine Lügen von anderen. Sie sah keine Notwendigkeit dafür. Dass Francine darin eine große Meisterin war, vermutete sie einfach nicht. Deshalb glaubte sie ihr, als sie ihr sagte, dass sie sie liebte.

Zuerst nahm sie an, dass Francine es so meinte, wie ihr Onkel oder ihre Tante es meinten, wie ihre Freundinnen es meinten, wenn sie sich gegenseitig sagten: »Ich liebe dich, Süße.« Unter ihren Altersgenossinnen war das durchaus üblich, ohne dass es etwas bedeutete.

Ohne dass es wahre Liebe bedeutete. Es bedeutete einfach: »Ich mag dich.« Man sagte Liebe und meinte Sympathie, Freundschaft.

Doch Francine meinte das nicht. Sie meinte etwas viel Konkreteres, Intimeres. In Québec hatte sie offenbar schon einiges an Erfahrung gesammelt, während die Mädels von der High School in Langley damit bis zum Abschlussball warteten. Oder sogar noch länger.

Mit Warten hatte Francine es überhaupt nicht. Sie wollte immer alles sofort. Anscheinend hatten ihre Eltern ihr nie etwas verweigert. Kein Wunder, dass sie ständig über die Stränge schlug. Sie dachte, für sie gäbe es keine Stränge. Sie war ein verwöhntes Gör, wie es im Buche stand.

Aber so sah Mackenzie das nicht. Sie fand Francine faszinierend. Exotisch. Ungewöhnlich. Fremd. Etwas ganz anderes als alles, was sie in ihrem bisherigen Leben gesehen hatte. Denn sie hatte noch nicht viel gesehen.

Und Francine nutzte das schamlos aus. Sie erzählte von Québec, von Reisen, die sie mit ihren Eltern gemacht hatte. Dass sie sogar schon in Europa gewesen war, in Frankreich. Und das alles erzählte sie mit einem ungeheuer niedlichen französischen Akzent. Oder gleich auf Französisch.

Mackenzie, die sich nach Abwechslung sehnte, konnte gar nicht genug davon hören. Für sie war Francine eine Frau von Welt, wie sie noch nie eine getroffen hatte. Obwohl Francine noch nicht einmal eine Frau war, erst ein Mädchen auf dem Wege dahin.

Es kam, wie es kommen musste: Francine war Mackenzies erste Frau geworden. Bis dahin hatte Mackenzie zwar schon gemerkt, dass sie sich für Mädchen auf andere Art interessierte, als andere Mädchen das anscheinend taten, aber sie hatte sich keine Gedanken darüber gemacht.

Ehrlich gesagt hatte sie gedacht, alle anderen Mädchen empfänden genauso. Auch die, die nur von Jungs erzählten, wälzten sich mit anderen Mädchen bei Pyjama-Partys im Bett, kugelten übereinander, lachten, küssten sich und fanden nichts dabei. Das war ganz normal.

Dass man zum Schluss einen Mann heiraten würde, blieb davon unberührt. Das hatte nichts miteinander zu tun. Und natürlich hatten sie keinen Sex bei ihren Pyjama-Partys. Darauf wäre nie jemand gekommen.

Doch Francine machte keine halben Sachen. Entweder ganz oder gar nicht, das war ihre Devise.

Mackenzie hatte es nie vermisst, keinen festen Freund zu haben, auch wenn viele Jungs sie verfolgten und ihr Anträge machten. Die schulischen Aktivitäten nahmen sie voll in Anspruch, denn sie hatte durchaus Ehrgeiz. Sie wollte gut in der Schule sein und vor allem auch auf Schlittschuhen.

Die Eishockeyspiele, bei denen sie mit ihrer Cheerleader-Truppe die Pausen füllte, folgten in der Saison eins aufs andere. Da musste man fit sein und jeden Tag trainieren. Dazu Hausaufgaben, Schulprojekte – da war der Tag schnell rum.

Kingsley Stevens: Kopfüber ins Abenteuer mit dir

1 Meine Güte. Was für ein Tag! Mackenzie strich sich über die blonden Locken, die sich nicht ganz...
2 »Hey! Ich liebe Frauen in schwarzem Leder!« Sydney stellte das schwere Motorrad auf den...
Das wäre mehr Arbeit und weniger Geld gewesen. Weit weniger Geld. Dabei kam sie schon jetzt kaum...
In diesem Moment veränderte sich die Körperhaltung der anderen, sie ließ ihre Arme fallen und...
Sie war ziemlich zurückhaltend angezogen gewesen, stellte sie jetzt so im Nachhinein fest. Nicht...
Andererseits war es aber auch nicht ihre Vorstellung von einem erfüllten Leben, nach der Arbeit...
Lässig drehte Sydney sich zurück und wandte sich wieder ihrem Bier zu, nahm noch einen Schluck,...
Und die Nächte brauchte man für seinen Schlaf, um am nächsten Tag wieder fit zu sein. Ein...
»Ich werde mich bemühen, das ohne Schaden zu überstehen«, witzelte Sydney. »Vielleicht helfen Sie...
Es war ja nicht für immer. Sydney war nur für ein paar Tage hier, dann würde sie weiterfahren. Und...
»Noch nicht«, sagte Mackenzie. »Aber wenn du willst, mache ich welchen.« »Dieser Tee verdünnt mein...
Für einen Augenblick schien der Rauschgoldengel, der allerdings jetzt etwas staubig aussah, Nein...