Und die Nächte brauchte man für seinen Schlaf, um am nächsten Tag wieder fit zu sein. Ein Nachtleben gab es in Langley ohnehin nicht. Also wo hätte man auch hingehen sollen?

Ja, es gab Treffpunkte, und da ging sie auch manchmal vorbei. Aber sie ließ sich nie auf etwas ein. In gewisser Weise war sie unantastbar. Die Prinzessin, die alle anschauen, aber die keiner berühren durfte. Das musste sie gar nicht erst sagen, das war einfach so.

Es war ihr ganz recht, auch wenn sie sich schon gefragt hatte, wie so ein richtiger Kuss sich anfühlte. Nicht der einer Freundin bei einer Pyjama-Party. Wo sie sich manchmal mehr gewünscht hatte, aber es war immer nur Spielerei gewesen. Man übte für den Ernstfall. Für die Jungs.

Das war ihr nie merkwürdig erschienen. Auf diesen Gedanken brachte sie erst Francine. Als Francine sie zum ersten Mal küsste, ging das Mackenzie durch und durch. Da wusste sie endgültig, wofür sie geübt hatte. Nicht für Jungs.

Als Francine merkte, dass Mac auf sie ansprang, gab es kein Halten mehr. Ab da litten Mackenzies Schulnoten sehr. Und auf dem Eis musste sie aufpassen, dass sie nicht von den Schlittschuhen kippte, weil sie zu wenig trainierte.

Doch das war schon einige Zeit her. Es hatte nur ein halbes Jahr gedauert, dann war Francine auch hier von der Schule geflogen, weil sie untragbar war. Sie brachte die ganze kleinstädtische Routine durcheinander, konnte keinen Stein auf dem anderen lassen. Ihr Leben war ein einziges Chaos, und deshalb wollte sie, dass das auch für andere so war.

Als Francine plötzlich weg war, war Mackenzie wie aus einem Traum erwacht. Einem süßen Traum, dachte sie zuerst und weinte sich die Augen aus, doch dann merkte sie, dass es ein böser Traum gewesen war. Francine hätte fast ihr Leben zerstört, sie mit sich in den Abgrund gezogen.

Ein paar Tage war sie wie betäubt gewesen, doch dann rappelte sie sich langsam auf und betäubte sich mit dem, was sie nachholen musste, was sie in der Schule und beim Training versäumt hatte. Bis zum Ende des Jahres hatte sie es geschafft, doch noch einen guten Abschluss zu machen.

Was ihr allerdings nur wenig nützte. Auf der Schule war sie die Prinzessin gewesen, im wahren Leben, im Berufsleben galten dann andere Maßstäbe. Weil sie aussah, wie sie aussah, traute ihr niemand auch nur das Geringste zu. Sie hatte wirklich Glück gehabt, überhaupt den Job in der Bank zu bekommen. Weil Mr. Clarke ein Idiot war.

Und jetzt saß sie hier mit ihren Kolleginnen und Kollegen und fühlte sich ein bisschen wie ein Roboter. Ein Roboter, der auf den Freitag wartete, damit er dem allen hier für kurze Zeit entfliehen konnte.

Sie hörte nur mit halbem Ohr zu, wie die anderen sich unterhielten. Es war sowieso immer dasselbe. Und das hörte sie schon den ganzen Tag in der Bank. Manchmal antwortete sie ganz automatisch, aber niemand achtete darauf, ob sie wirklich bei dem Gespräch dabei war.

Gelangweilt ließ sie ihren Blick schweifen. Nun lag der langweilige Abend vor ihr, der langweilige Mittwochabend. Wie jeder Abend der Woche von Montag bis Donnerstag.

Nichts war anders als sonst. Sie hätte jedes einzelne Staubkorn mit Namen ansprechen können.

Auf einmal stutzte sie. An der Theke war etwas anders. Da saß jemand, den sie nicht kannte. Eine Frau, die ein Bier trank. In Jeans und T-Shirt, aber aus irgendeinem ihr unerfindlichen Grund dachte Mackenzie, dass das nicht richtig passte.

Aber nur so lange unerfindlich, bis die Frau sich umdrehte. Deshalb diese merkwürdige fremde Bekanntheit. Oder bekannte Fremdheit? Das war die Motorradfahrerin, mit der sie vor Teds Werkstatt zusammengerasselt war.

Ohne ihre Lederkluft sah sie ganz anders aus. Viel . . . ziviler. Ihre kurzen dunklen Haare bildeten nun keine Einheit mehr mit ihrer Kleidung, sondern stachen davon ab. Sie war immer noch groß, und ihre Schultern waren immer noch breit, aber ohne die dicken Lederpolster wirkte sie nicht mehr so martialisch.

Sie ließ ihren Blick ebenso schweifen wie Mackenzie, ohne ein richtiges Ziel zu haben. Bis ihre Blicke fast genauso zusammenstießen, wie sie vor Teds Werkstatt zusammengestoßen waren. Beide verharrten sie kurz in der Luft, bevor die Frau an der Theke leicht zu lächeln anfing.

Mackenzie sah keinen Grund zu lächeln. Sie fühlte sich fast belästigt.

Konnte diese Lederfrau, die im Augenblick keine mehr war – was allerdings nichts an der Situation und ihrem Unmut änderte –, sie denn nicht in Ruhe lassen?

8

Aha. Jetzt hatte sie sie gesehen. Und erkannt. Sydney bemühte sich sehr, ihr Lächeln nicht in ein Grinsen ausarten zu lassen. Es war mehr als deutlich, dass die Blonde sich nicht über diese erneute Begegnung freute.

Aber wie sie schon einmal festgestellt hatte, war es fast unvermeidlich, in so einer kleinen Stadt immer wieder ineinander hineinzulaufen. Es sei denn, man schloss sich in seinem Zimmer ein und kam nicht mehr heraus. Was Sydney nicht vorhatte.

Sie würde ohnehin bald wieder verschwunden sein. Jeder Tag länger, den sie hierblieb, war nicht gut für sie. Aber im Moment musste sie das Beste daraus machen.

»Mackenzie! Hey!« Ein Kerl wie ein Baum kam herein und steuerte auf den Tisch zu, an dem die Fünfergruppe saß.

Die Blonde blickte auf, und als der Hüne an den Tisch trat, sah Sydney, dass sie wohl Mackenzie sein musste, denn er sprach nur mit ihr, grüßte die anderen lediglich mit einem Nicken.

Der Hüne trug weder Anzug noch Krawatte. Er kam bestimmt nicht aus einem Büro, sah eher aus wie ein Farmer. Seine Muskeln waren beeindruckend.

Nachdem er sie etwas gefragt hatte, nickte Mackenzie. Ein leichtes Lächeln überzog ihr Gesicht, und Sydney dachte, sie träfe der Schlag. Das war kein spöttisches Lächeln, nicht das, was sie Sydney hatte zuteilwerden lassen.

Es war ein nettes Lächeln, freundlich und voller Sympathie für den großen jungen Mann, den Sydney auf etwa Mitte zwanzig schätzte. Und Mackenzie bedachte ihn mit einem Lächeln, das einem die Knie schwachmachen konnte.

Das konnte nur eines bedeuten: Er war derjenige welcher. In nicht so ferner Zukunft würde sie ihm ganz viele kleine Hünenkinder schenken.

Sydney griff nach ihrer Bierflasche, wollte einen Schluck nehmen und merkte, dass sie leer war. Mit einem Winken Richtung Barkeeper bestellte sie noch eine. Nicht dass sie sich besaufen wollte – und das hier war ja auch keine sehr unerwartete Entwicklung, mehr eine erwartete –, aber ihre Fantasie, die sie sich hatte frei entfalten lassen, musste sie jetzt zurückpfeifen.

Diese Mackenzie sah wie eine Märchenprinzessin aus, mit einem Körper, für den manche wahrscheinlich hätten töten können, aber sie war auch genau das: ein Märchen. In einem weit entfernten Ort am Rande der Welt, den Sydney unter normalen Umständen wahrscheinlich nie kennengelernt hätte. Ebenso wenig wie sie, diese blonde Naturschönheit.

Der Hüne trat zurück, als Mackenzie vom Tisch aufstand und nach ihrer Jacke griff. Sie folgte ihm hinaus, doch bevor sie das tat, warf sie noch einmal einen Blick auf Sydney an der Bar.

»Wie geht es Ihrem Motorrad?«, fragte sie.

»Genauso wie vor ein paar Stunden, vermute ich«, antwortete Sydney schulterzuckend. »Es wird noch ein paar Tage dauern, bis es repariert ist.«

»Das tut mir leid«, sagte Mackenzie, aber es klang mehr wie eine mechanische Erwiderung als wahres Bedauern. »Ich fürchte, bei uns hier ist nicht viel los. Da werden Sie sich schnell langweilen.«

Ihre Augen blitzten ein wenig, und Sydney hatte das unterschwellige Gefühl, dass Mackenzie ihr diese Langeweile genauso gönnte wie die Anstrengung, als Sydney ihr Motorrad hatte schieben müssen.

Kingsley Stevens: Kopfüber ins Abenteuer mit dir

1 Meine Güte. Was für ein Tag! Mackenzie strich sich über die blonden Locken, die sich nicht ganz...
2 »Hey! Ich liebe Frauen in schwarzem Leder!« Sydney stellte das schwere Motorrad auf den...
Das wäre mehr Arbeit und weniger Geld gewesen. Weit weniger Geld. Dabei kam sie schon jetzt kaum...
In diesem Moment veränderte sich die Körperhaltung der anderen, sie ließ ihre Arme fallen und...
Sie war ziemlich zurückhaltend angezogen gewesen, stellte sie jetzt so im Nachhinein fest. Nicht...
Andererseits war es aber auch nicht ihre Vorstellung von einem erfüllten Leben, nach der Arbeit...
Lässig drehte Sydney sich zurück und wandte sich wieder ihrem Bier zu, nahm noch einen Schluck,...
Und die Nächte brauchte man für seinen Schlaf, um am nächsten Tag wieder fit zu sein. Ein...
»Ich werde mich bemühen, das ohne Schaden zu überstehen«, witzelte Sydney. »Vielleicht helfen Sie...
Es war ja nicht für immer. Sydney war nur für ein paar Tage hier, dann würde sie weiterfahren. Und...
»Noch nicht«, sagte Mackenzie. »Aber wenn du willst, mache ich welchen.« »Dieser Tee verdünnt mein...
Für einen Augenblick schien der Rauschgoldengel, der allerdings jetzt etwas staubig aussah, Nein...