Ehrlich gesagt war Dani selbst nicht sehr glücklich gewesen zu dem Zeitpunkt. Sie hatte ein paar Beziehungen gehabt in der Zeit davor, die aber alle nicht lange gedauert hatten. Irgendwie stand sie wohl auf den falschen Typ Frau. Frauen, die gern feierten und ausgingen, an jeder Hand zehn Freundinnen hatten und die auch ausgiebig nutzten. Für alles.
Als sie Frauke in dem Lokal sitzen sah, ihr Blick sie zufällig streifte, blickte Frauke gerade auf. Sie war überhaupt nicht der Typ, mit dem Dani bisher zusammen gewesen war. Sie war das absolute Gegenteil. Eine Frau, die selbst abends noch so aussah, als säße sie im Büro. Die nicht lächelte. Die allein war.
Sie blickte schnell wieder auf ihren Salat, als sie sah, dass Dani sie beobachtete, aber da war etwas gewesen, das Dani stutzig machte. Da war ganz klar etwas gewesen. In ihren Augen. In ihrer Art.
Natürlich konnte Dani sich täuschen, aber sie lebte nicht gern in Unsicherheit. Also sah sie immer wieder zu Frauke hinüber, während um sie die Feier lachend rauschte, und als sich ihre Blicke das nächste Mal trafen, hielt Frauke es länger aus.
Dani nickte ihr zu, und Frauke schien erstaunt. Dann nickte sie zurück. Sehr knapp, sehr reserviert, aber es war eindeutig ein Nicken.
Die Situation war ungewohnt für Dani. Sie wusste nicht genau, was sie tun sollte. Also tat sie so, als müsste sie zur Toilette gehen, und auf dem Rückweg hielt sie bei Fraukes Tisch an.
»Wollen Sie sich vielleicht zu uns setzen?«, fragte sie sie. »Wir feiern gerade die Beförderung einer Freundin.«
Frauke schüttelte den Kopf. »Nein, danke. Ich esse lieber allein.«
Dani zögerte, dann setzte sie sich zu Frauke. An ihrem Tisch würde sie erst einmal niemand vermissen. Da waren zu viele Leute.
Erst als sie bereits den Stuhl gegenüber von Frauke zu sich herangezogen hatte, fragte sie: »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mich setze?«
Frauke hob die Augenbrauen. »Sie sitzen ja schon.«
»Das stimmt.« Dani lachte. »Ich bin immer ziemlich spontan.«
»Ich nicht«, sagte Frauke. Sie widmete sich wieder ihrem Salat.
»Stört es Sie?«, fragte Dani. Aber sie wartete die Antwort gar nicht erst ab, sondern sprach weiter. »Ich bin übrigens Dani. Daniela Strömer.« Sie streckte ihre Hand über den Tisch.
Frauke sah so aus, als hätte sie noch nie eine Hand gesehen. Sie starrte nur darauf, als könnte sie nicht glauben, dass es so etwas gab. Dann sah sie Dani an, ohne ebenfalls die Hand auszustrecken.
»Das ist merkwürdig«, sagte sie. »Ich heiße Römer. Frauke Römer.«
Dani lachte. »Also gibt es keinen Grund mehr, mir nicht deine Hand zu geben, oder?«, fragte sie. »Wo wir schon fast gleich heißen.«
Sie hatte ins Du gewechselt, weil das Interesse in Fraukes Augen unverkennbar war. So reserviert sie sich auch gab.
»Warten Ihre Freunde nicht auf Sie?«, fragte Frauke. Sie war noch nicht so weit, ins Du zu wechseln. Und sie gab Dani auch nicht die Hand.
»Die merken gar nicht, dass ich nicht mehr da bin«, behauptete Dani. Obwohl sie bereits gesehen hatte, dass Manu interessiert herüberschaute. Sie hatte durchaus bemerkt, dass Dani nicht zurückgekommen war. »Wenn man allein ist, bekommt man viel mehr Aufmerksamkeit.«
»Ach deshalb«, erwiderte Frauke trocken. »Sie sind auf der Jagd nach alleinstehenden Frauen?«
»Wie nennen dich deine Freundinnen?«, fragte Dani und beugte sich vor. »Frauke?«
»Wie nennen dich deine?«, fragte Frauke zurück, nun doch aufs Du übergehend. »Aufdringlichkeit?«
In gewisser Weise konnte Dani Fraukes Frage verstehen. Aber sie verstand auch, dass da noch mehr war. »Du findest mich aufdringlich?«, gab sie deshalb herausfordernd zurück. »Das glaube ich nicht. Deine Augen sagen etwas anderes.«
Frauke, die bisher noch immer so getan hatte, als würde sie essen, legte das Besteck beiseite. »Ich bin nicht auf der Suche nach einer Frau«, sagte sie. »Ich habe gar keine Zeit für so etwas.«
»Warum?«, fragte Dani.
»Zu viel Arbeit«, sagte Frauke. »Ich komme gerade aus dem Büro. Und so ist das jeden Tag. Würde dir das gefallen? Eine Frau, die erst um diese Zeit nach Hause kommt?« Sie blickte kurz zu dem Tisch hinüber, an dem Dani gesessen hatte. »Oder nein. Das würdest du gar nicht merken. Weil du selbst nicht zu Hause sein würdest. Du wärst auf irgendeiner Feier.«
»Nicht immer«, sagte Dani. »Und manchmal sind viele nur der Ersatz für die Eine, die man nicht hat.«
»Damit willst du mir durch die Blume sagen, dass du Single bist? Verfügbar?« Erneut hob Frauke die Augenbrauen. »Das ist ja wenigstens etwas.«
»Ist es das?« Leicht fragend legte Dani den Kopf schief. »Bist du bisher immer an verheiratete Frauen geraten? Oder welche, die anderweitig nicht verfügbar waren?«
»Du stellst zu viele Fragen«, sagte Frauke. »Wenn du es genau wissen willst, so viele Bekanntschaften mache ich nicht. Wie ich schon sagte, habe ich für so etwas gar keine Zeit.«
»Noch nicht einmal für Sex?«, fragte Dani.
Frauke hatte gerade nach ihrer Tasche gegriffen, wahrscheinlich um zu bezahlen, jetzt erstarrte sie. »Wie bitte?«
»Ich bin spontan und ich bin direkt«, erklärte Dani achselzuckend. »Ich würde gern mit dir schlafen. Und ich sehe in deinen Augen, dass du das auch willst. Auch wenn du so tust, als wäre es nicht so. Also frage ich, wie du dazu stehst. Ich mag Unsicherheit nicht. Ich bin für Klarheit.«
Ein Mundwinkel von Frauke zuckte. »Da haben wir wenigstens eine Sache gemeinsam.« Endgültig zog sie das Portemonnaie aus der Tasche und winkte dem Kellner. »Zahlen bitte.«
»Habe ich dich jetzt vertrieben?«, fragte Dani bedauernd. »Das wollte ich nicht.« Sie stand auf. »Ich gehe an meinen Tisch zurück. Dann kannst du in Ruhe zu Ende essen.«
Doch Frauke aß nicht mehr. Sie bezahlte und ging.
Dani hatte sich fest vorgenommen, sie nicht mehr zu belästigen, aber irgendetwas in ihr brachte sie dazu, ihr nachzugehen. Vielleicht konnte sie wenigstens sehen, in welche Richtung sie die Straße entlangging. Ihrer Gestalt noch eine Weile mit den Augen folgen.
Doch als sie auf die Straße trat, lief sie fast in Frauke hinein. Sie stand vor der Tür, ging weder in die eine noch die andere Richtung.
»Wartest du auf mich?«, fragte Dani aufgedreht. Ihr Herz schlug in Trommelwirbeln.
Wieder schüttelte Frauke den Kopf wie schon einmal an diesem Abend. »Ich habe nur gerade darüber nachgedacht, was das da gerade war.«
Sie war wohl kein Typ, der gern Komplimente machte. Sonst hätte sie diese Gelegenheit ergreifen können.
»Tut mir leid«, sagte Dani. »Ja, ich habe dich angemacht. War es das, was du wissen wolltest? Ich dachte, das wäre klar gewesen. Spätestens, als ich Sex erwähnte –«
Weiter kam sie nicht, denn Frauke riss sie in ihre Arme und küsste sie.
So hatten sie sich kennengelernt.
Und in der Nacht, in dieser Nacht vor vierzehn Jahren, hatten sie zum ersten Mal miteinander geschlafen.