»Mach dir keine Vorwürfe«, sagte Manu in diesem Moment, als hätte sie ihre Gedanken gehört. »Wenn sie gehen wollte, konntest du sie nicht aufhalten. Das kann man nie. Denn wenn es so weit ist, ist es schon zu spät.«
Dani saß da und starrte auf ihren Bildschirm, auf das Log-in der Firma, und trotzdem sah sie nichts. »Zu spät«, wiederholte sie tonlos. »Warum hat sie nicht mit mir darüber gesprochen, als noch Zeit war?«
Eine ganze Weile musterte Manu sie. »Sie spricht überhaupt nicht viel, hm?«, sagte sie dann. »Es war immer schwierig, sie in ein Gespräch zu ziehen.«
»Sie hasst Small Talk«, bestätigte Dani. »Aber das wäre ja kein Small Talk gewesen, sondern eine ernste Angelegenheit. Sich nach vierzehn Jahren zu trennen –«
Sie konnte nicht anders, als ihr Gesicht in ihren Händen zu verbergen. Sie wollte nicht weinen. Nicht hier. Nicht vor Manu. Und an ihrem Arbeitsplatz.
Heute Nacht hatte sie es auch nicht getan. Sie war innerlich wie gelähmt gewesen, hatte einfach nicht glauben können, was geschehen war. Hatte nur dagelegen und in der Dunkelheit an die Decke gestarrt, jeden Augenblick darauf gewartet, dass die Tür gehen und Frauke nach Hause kommen würde.
Schließlich war das nichts Ungewöhnliches. Dani lag im Bett und wartete auf sie. Weil Frauke wieder einmal bis spät in die Nacht arbeitete.
Aber sie hatte nicht gearbeitet. Und das hatte Dani gewusst.
»So viel zu langjährigen Beziehungen«, sagte Manu. »Und auf zu neuen Ufern.«
Dani hörte es und zog noch hinter ihren Händen versteckt die Augenbrauen hoch. Dann ließ sie die Hände fallen. »Was hast du gesagt?«
»So viel zu langjährigen Beziehungen?«, fragte Manu.
»Nein, das andere.«
»Auf zu neuen Ufern?« Manu spitzte herausfordernd die Lippen. »Na, das liegt ja wohl auf der Hand. Willst du ihr den Triumph gönnen, dass du zu Hause sitzt und dir die Augen ausheulst? Dass du ihr nachtrauerst und sie vermisst? Du bist jetzt wieder frei und ungebunden, musst niemandem mehr treu sein. Und du bist eine attraktive Frau, die einiges zu bieten hat. Außerdem hast du vierzehn Jahre nachzuholen.« Auffordernd sah sie Dani an. »Also los, auf die Piste.«
»Du spinnst ja wohl.« Entgeistert starrte Dani sie an. »Ich soll mich ohne mit der Wimper zu zucken in fremden Betten wälzen? Nur aus Rache an Frauke?«
»In fremden Betten oder in deinem eigenen«, entgegnete Manu schulterzuckend. »Aber hast du denn gar keine Lust, dich an ihr zu rächen?« Irritiert sah sie Dani an. »Ich hatte das immer. Sollen sie doch sehen, wo sie bleiben. Ich amüsiere mich.«
»Du bist ein völlig anderer Mensch als ich«, sagte Dani.
»In diesem Fall sind wir beide gleich«, widersprach Manu. »Du bist verlassen worden, ich bin verlassen worden. Und sie sollen sich nicht darüber freuen, dass uns das etwas ausmacht.«
»Es macht mir aber etwas aus!« Aufs Höchste erregt schlug Dani mit der Hand auf den Tisch. Was es auch immer war, Wut oder Enttäuschung, es grollte in ihr, schnürte ihr fast die Luft ab. »Ich könnte sie . . . umbringen!«
»Dann landest du im Gefängnis«, kommentierte Manu das trocken. »Obwohl sie es vielleicht verdient hätte. Aber wenn du dich amüsierst . . .«, sie lehnte sich am Schreibtisch zu Dani vor, »kann dich niemand dafür bestrafen. Und sie kann sich darüber ärgern, weil sie noch lebt.«
Die Argumentation hatte etwas für sich, das musste Dani zugeben.
Während sie ihre Log-in-Daten eingab und sich im Netzwerk der Firma anmeldete, schlich sich auf einmal ein leises Lächeln in ihre Mundwinkel.
Frauke würde schon sehen, was sie davon hatte. Sie einfach so sitzenzulassen. Und noch nicht einmal auf ihre Anrufe und Nachrichten zu reagieren. Sie zu ghosten.
Das würde sie noch bereuen.
4
»Mach da weiter, wo du vor vierzehn Jahren aufgehört hast. Da hattest du doch einen ganz schönen Lauf.«
Entgeistert sah Dani ihre Freundin Lea an. »Lauf?«
»Na ja.« Lea lächelte leicht anzüglich. »Die Ladys haben sich bei dir die Klinke in die Hand gegeben, oder nicht?«
»Das . . . Das war aber keine Absicht.« Dani wurde fast rot, denn Lea hatte recht. Obwohl sie das nicht bewusst angestrebt hatte, hatte sich damals eins nach dem anderen ergeben.
Eine Frau nach der anderen. Und nichts hatte lange gedauert. Weil sie offenbar einen sehr schlechten Blick für Frauen gehabt hatte. Für die richtigen Frauen.
Vor vierzehn Jahren war sie Ende zwanzig gewesen. Jung und dumm, könnte man sagen. Und in einer Hochhormonphase.
Was vielleicht auch irgendwie miteinander zusammenhing. Hormone waren nicht gerade für ihre Intelligenz bekannt.
»Ich bin dir ja heute noch dafür böse, dass ich nicht dabei war«, schmollte Lea.
»Du warst noch gar nicht in der Stadt«, verteidigte Dani sich.
»Leider nicht.« Lea seufzte. »Als ich dich kennenlernte, warst du schon in festen Händen.« Ihre Augen begannen zu glitzern. »Aber das ist ja jetzt gottseidank vorbei.«
Irritiert schüttelte Dani den Kopf. »Ich weiß nicht, wie ihr alle auf die Idee kommt, man könnte vierzehn Jahre einfach so abschütteln. Nur weil Frauke . . .«, sie schluckte, »weg ist, kann ich nicht einfach da weitermachen, wo ich aufgehört habe.«
»Warum nicht?«, fragte Swetlana, die zweite Freundin, mit der Dani an einem hohen Stehtisch stand, mit rollendem R. Alle hatten sie ein Champagnerglas in der Hand und waren dem Anlass entsprechend etwas festlicher gekleidet.
Swetlana betrieb die Kunstgalerie, zu der Lea Dani trotz ihres Protests geschleppt hatte. Es gab heute eine Vernissage einer lesbischen Fotografin, und da war Anwesenheit Pflicht.
Die Fotos waren recht . . . eindeutig. Es waren alles nackte Frauen, zum Teil in Positionen, die man als nicht unbedingt für die Öffentlichkeit geeignet hätte bezeichnen können. Was die vielen Besucherinnen und Besucher jedoch nicht davon abhielt, sie anzustarren, als wären sie dafür gedacht.
Insbesondere die Nahaufnahmen spezieller Teile wurden mit viel Aufmerksamkeit bedacht. Zum Teil war es, als würden sie wie mit einer Lupe betrachtet. Ein Wunder, dass einige der Besucher nicht extra eine dafür mitgebracht hatten.
Nicht dass Dani keinen Sinn für nackte weibliche Schönheit hatte, aber sie fand das alles ein bisschen viel. Und die ganze Atmosphäre hier war dadurch auf eine Art schwülstig, die sie jetzt gar nicht gebrauchen konnte.
»Zwei Wochen«, sagte Lea, »sind eine ewig lange Zeit.«
Zwei Wochen. Ja, genau. Zwei Wochen war Frauke jetzt verschwunden. Ausgezogen. Fort. War das Bett an Danis Seite leer.
Schon als Lea sie überredet hatte, heute hierherzukommen, waren die zwei Wochen Thema gewesen. Als ob zwei Wochen tatsächlich eine Ewigkeit wären. Nach vierzehn Jahren.
Aber die letzten beiden Wochen waren auch nicht gerade kurz gewesen, das musste sie zugeben. Obwohl sie sich in die Arbeit gestürzt hatte, hatten die Abende sich lang hingezogen. Lang, länger, am längsten.
Ein paar hatte sie mit Manu verbracht, die sie zu verschiedenen Partys geschleppt hatte, auf denen Dani Ablenkung zu finden hoffte. Aber Manus Partys waren voller Heteromänner und Heterofrauen, mit denen sie im Gegensatz zu Manu wenig anfangen konnte. Die Lesben waren in der Minderzahl.