»Ja, natürlich.« Madeleine nickte. Sie verstand das durchaus. In diesem Fall konnte sie Julianes Vorbehalte nachvollziehen. Aber das brachte sie jetzt nicht weiter.

»Viel Spaß in New York, Jane«, sagte sie und winkte in den Spiegel hinein, von dem Juliane noch immer keinen Blick wendete. »Grüß mir die Fifth Avenue.«

»Mache ich«, flötete Juliane, ohne die Anspielung zu verstehen. »Aber das nächste Mal kommst du mit. Versprochen!«

»Hmhm.« Madeleine spitzte die Lippen. »Ich werde eine Bank überfallen.«

Doch das hörte Juliane gar nicht.

Oder wollte es nicht hören.


»Du interessierst dich für meinen Wohnwagen?« Peter lachte am Telefon. »Seit wann stehst du denn auf so was?«

»Seit ich kein Geld mehr habe«, erwiderte Madeleine trocken. »Du hast vielleicht davon gehört.«

»Oh. Ja.« Natürlich hatte er davon gehört. »Ich könnte dir etwas leihen«, bot er an. »Wie viel brauchst du denn?«

»Viel«, sagte Madeleine. »Und danke für das Angebot, aber das kann ich nicht annehmen. Ich brauche nur einen Platz zum Wohnen, für den Übergang, mehr nicht.«

»Aber der Wohnwagen ist alt«, wandte er skeptisch ein. »Wirklich alt. Ich weiß gar nicht, warum ich den da noch stehen habe.« Wieder lachte er. Etwas schuldbewusst. »Oder doch. Ich weiß es. Manchmal . . .«, er räusperte sich, »manchmal habe ich den gebraucht. Wenn Juliane –« Er brach ab. »Na ja, du kennst sie ja. Ihr seid Freundinnen.«

Sind wir das? dachte Madeleine. Es gab anscheinend höchst unterschiedliche Definitionen von Freundschaft. Und Juliane kannte keine davon.

»Du brauchst ihn also noch?«, fragte sie. »Manchmal?«

Er überlegte. »Nein, eigentlich nicht«, meinte er dann. »Ich war schon lange nicht mehr dort. Es gibt andere Möglichkeiten.«

3

Wenn Simi etwas wusste, dann dass sie hier glücklich war. Sie hockte in dem kleinen Garten, den sie um ihren Wohnwagen herum angelegt hatte, grub in der Erde, schaute währenddessen auf das Wasser des Sees, war braungebrannt von der Sonne, als wäre sie gerade im Urlaub gewesen, und freute sich auf ihre Töpferscheibe, wenn sie mit der Gartenarbeit fertig war.

Gab es irgendetwas auf der Welt, was dem Paradies näherkam?

Immer wieder fragte sie sich, warum so viele Menschen so viel brauchten. Ja, sie hatte auch ein paar Sachen, auf die sie nicht verzichten wollte, aber das waren sehr wenige. Die passten fast in einen Schuhkarton.

Je mehr die Welt mit Konsumgütern vollgestopft war, desto weniger wollte sie davon haben. Sie fand das nur überflüssig. Ja, hier in ihrem Wohnwagen war sie glücklich und zufrieden und hatte alles, was sie brauchte. Seit vielen Jahren.

Es gab noch ein paar andere Dauercamper hier. Mit denen war sie befreundet. Sie halfen sich gegenseitig aus, wenn sie etwas brauchten. Es war wie eine kleine Familie, in der jeder auf jeden achtete. Aber wenn man seine Ruhe haben wollte, konnte man das auch einfach sagen, und es wurde respektiert.

Niemand belästigte den anderen, auch wenn man so gut wie alles mitbekam. Jeder war ein Individuum, das ganz individuell lebte, und doch fand diese Individualität ihre Grenze dort, wo sie jemand anderem seine Individualität nahm.

Ich spiele meine Musik und du spielst deine Musik, aber nur so laut, dass sie sich nicht gegenseitig übertönten.

Das geschah lediglich dann, wenn die anderen Camper kamen. Die, die keine Dauercamper waren. Sie kamen aus ihren eingeklemmten Wohnungen, aus ihren Städten ohne Gärten und Grün um den eigenen Lebensraum herum und wollten das nun hier auf dem Campingplatz in vollen Zügen genießen. Koste es, was es wolle.

Wollten draußen grillen, weil ihnen das auf ihrem Balkon zu Hause nicht möglich war oder verboten. Weil sie die Nachbarn fragen mussten und die eventuell nicht einverstanden sein würden. Ihre Freiheit war so eingeschränkt, dass Simi ihren Lebenshunger, ihren Durst nach Ungebundenheit durchaus verstand.

Aber wie sie das manchmal hier auf dem Campingplatz auslebten, das entsprach nicht dem, was sie sich wünschte. Denn es schränkte ihre eigene Freiheit ein.

Doch sie wollte nicht dasselbe mit anderen tun, also hielt sie sich zurück. Wie die meisten der Dauercamper. Wenn die Saison vorbei war oder die Wochenenden, an denen der Platz sich plötzlich so eng füllte, dass kein Spatz mehr dazwischenpasste, wurde es wieder still und gemütlich.

Vielleicht war es ganz gut so, dass es nicht immer so war. So konnte man es noch mehr schätzen.

Und die Zeiten, in denen die Dauercamper auf dem Platz allein waren, waren länger als die Urlaubszeiten und die Wochenenden. Die zeitweisen Camper kamen ohnehin nur, wenn das Wetter gut war. Urlaub oder Wochenende zählte nichts, wenn es regnete oder schneite. Während Simi fand, das war die schönste Zeit.

»Na du? Hast du Hunger?« Sie lächelte den alten Kater an, der immer einmal wieder vorbeikam, als er in der Nähe ihres Gartens herumschlich, ohne sich ihm ganz zu nähern.

Er hatte nur noch ein Auge, seine Ohren waren zerfetzt von vielen Kämpfen mit anderen Katern, und auch sein Fell war stumpf und ungepflegt, teilweise war es gar nicht mehr da. Vielleicht war er gar nicht so alt, wie er aussah, aber er hatte ein hartes Leben gehabt, das sah man ihm an.

Und Simi wollte ihm die letzte Zeit, die er noch hatte, wenigstens etwas leichter gestalten. Zahm würde er wohl nie werden. Streicheln konnte man ihn nicht. Sobald man auf ihn zuging, lief er weg. Blieb aber manchmal in der Entfernung unter einem Strauch sitzen und beobachtete sie.

Dann ging sie zu der kleinen Vorratskiste, in der sie das Katzenfutter aufbewahrte, füllte eine Schüssel, stellte eine Schüssel mit Wasser daneben und verschwand in ihrem Wagen. Die Schüsseln stellte sie ganz an den Rand ihres kleinen Reichs, wo er sich noch sicher fühlen konnte. Aber sie hatte sie trotzdem immer ein Stückchen näher zu sich herangeholt, sodass sie nun nicht mehr so weit entfernt standen wie am Anfang.

Er war sehr misstrauisch gewesen, wollte nicht näherkommen, aber mit der Zeit hatte er gemerkt, dass sie ihm nichts tat, dass ihm hier in ihrem kleinen Reich niemand etwas tat, und so kam er und fraß. Aber danach verschwand er sofort wieder. Das würde sich wohl nie ändern. Dazu hatte er zu viele schlechte Erfahrungen gemacht, die sich tief eingeprägt hatten.

Simi konnte das verstehen. Schlechte Erfahrungen, vielleicht sogar schon als Kind, machten viele Menschen ebenso misstrauisch, wie es dieser Kater war. Manchmal kam man nie darüber hinweg.

Aber es gab Möglichkeiten, sein Paradies zu finden. Wie sie es gefunden hatte. Davon war sie überzeugt. Auch wenn man manchmal lange danach suchen musste.

»Sag mal, wer ist denn das da an Peters Wohnwagen?« Nele, eine Dauercamperin wie sie selbst, fing Simi ab, als sie in ihren Wagen hineingehen wollte, um dem Kater Gelegenheit zum Fressen zu geben.

»Peters Wohnwagen?« Fragend hob Simi die Augenbrauen.

»Ach ja«, winkte Nele ab. »Den kennst du ja gar nicht mehr. Er war schon lange nicht mehr hier.« Sie schmunzelte. »War aber ein fescher Kerl, als er noch kam. Zum Angeln. Sagte er jedenfalls. Ich glaube, er war nur auf der Flucht vor seiner Frau.« Sie verzog schmunzelnd wissend die Lippen.

»Welcher Wagen ist das?«, fragte Simi und schaute sich um.

»Der da unten, direkt am See, aber mittlerweile sind die Sträucher schon so zugewachsen, man sieht ihn kaum noch.« Nele wies in die Richtung.

»Ach ja.« Simi nickte. »Ich habe mich schon gefragt, wem der gehört. Hab da noch nie jemanden gesehen.«

»Ja, er kommt nicht mehr.« Nele seufzte. »Schade. Aber jetzt steht ein Auto da unten. Als ob jemand gekommen wäre.«

Sina Kani: Ein Bett im Caravan

1 »Das hast du dir selbst zuzuschreiben.« Madeleine hörte die Worte, aber sie konnte sie kaum...
»Ja, natürlich.« Madeleine nickte. Sie verstand das durchaus. In diesem Fall konnte sie Julianes...
»Das könnte doch dieser Peter sein«, vermutete Simi. »Kommt nach Jahren mal wieder vorbei.« »Nö....
Nachdem ihre Erstarrung sich gelöst hatte, atmete sie erst einmal tief durch. Das konnte alles...
Doch dass diese Frau meinte, Madeleine wäre jemand, die man einfach so irgendwo hinschicken...
Als die Liegefläche vor ihr ausgebreitet war, sie auf der einen Seite, Madeleine auf der anderen,...
Im Wohnwagen gab es keinerlei sanitäre Anlagen. Männer verrichteten ihre Notdurft ja wie Hunde...
Endlich trat sie aus ihrem Wohnwagen hinaus und kämpfte sich durch die Büsche die ersten Meter zum...
Sie richtete sich da nach dem alten Sprichwort, dass ein Halm, der sich im Wind beugte, nicht...
Währenddessen hustete Madeleine angestrengt und machte es ihr nicht gerade leichter. Aber zum...
»Ich sehe das anders«, setzte sie deshalb den Satz fort. »Ich faste regelmäßig.« »Mache ich auch...
Unwillkürlich lachte sie über sich selbst. Madeleine lächelnd? Und auch noch einladend? Mal ganz...