Nachdem ihre Erstarrung sich gelöst hatte, atmete sie erst einmal tief durch. Das konnte alles nicht wahr sein, und doch war es wahr. Wahrer als sie es sich je erträumt hatte.

Doch von einem Traum konnte hier ohnehin nicht die Rede sein. Höchstens von einem Albtraum. Der immer noch schlimmer wurde. Aus dem sie nicht aufwachen konnte.

Aber sie musste aufwachen. Es blieb ihr gar nichts anderes übrig. Sie musste heute Nacht wenigstens hier schlafen können, damit sie zur Ruhe kam.

Wo sich wohl das Bett versteckte? Suchend sah sie sich um. Sie hatte bei Bekannten einmal ein Wohnmobil gesehen, das eher einem Kreuzfahrtschiff glich. Oder zumindest einem halben Haus. Auf Rädern.

Diese Leute hatten darauf bestanden, ihr eine Führung zu geben. Obwohl sie nicht darum gebeten hatte. Aber sie waren so stolz auf ihre rollende Burg gewesen. In der sogar ein separates Schlafzimmer vorhanden war, ein Bad, eine voll ausgebaute Küche und viele sonstige Annehmlichkeiten.

Dennoch hatte Madeleine allein die Idee, mit so einem Ding unterwegs zu sein, idiotisch gefunden. Das hatte sie natürlich nicht gesagt, denn immerhin hatten diese Bekannten einen siebenstelligen Betrag für ihr bewegliches Haus hingeblättert. Warum sie das getan hatten, verstand Madeleine allerdings nicht.

Als sie sich jetzt umsah, suchte sie die ganzen Annehmlichkeiten, die diese Leute ihr vorgeführt hatten, jedoch vergeblich. Nichts davon gab es hier. Immer mehr erfasste sie die Panik. Nicht einmal ein separates Bett? Wo sollte sie dann schlafen?

Sie räumte eine schmale Sitzbank von alten Zeitungen frei und ließ sich darauf niedersinken. Was, wenn sie jetzt einfach mal eine Weile weinte? Das war zwar sonst nicht ihre Art, aber einmal war immer das erste Mal. Und hier sah sie ja niemand.

»Kann ich Ihnen helfen?« Es klopfte, und gleich darauf schob sich ein Wuschelkopf durch die Tür herein.

Madeleine gab sich einen Ruck. »Nein, danke«, erwiderte sie kühl. »Ich komme schon zurecht.«

Die junge Frau ging aber nicht, sondern sah sich ebenfalls im Wohnwagen um. Was nicht schwierig war, obwohl sie ihn noch gar nicht betreten hatte. Hier war alles sehr . . . übersichtlich.

»Sieht ja furchtbar aus«, sagte sie. »Dieser Peter muss ein ziemlicher Chaot gewesen sein.«

Madeleine musterte das Gesicht unter dem Wuschelkopf etwas genauer. Die Frau war braungebrannt, als käme sie gerade aus der Karibik zurück, aber sie wirkte nicht wie jemand, der sich das leisten konnte. Sie war ungeschminkt, und ihre Augen lachten unter natürlichen Wimpern.

Langen Wimpern, aber definitiv keinen künstlichen. Als ob sie gerade erst aufgestanden wäre und noch keine Zeit gehabt hätte, sich fertigzumachen, sich auf den Tag vorzubereiten.

»Sie kennen Peter?«, fragte Madeleine höflich, wenn auch uninteressiert an der Antwort. Konversation war etwas, worauf man sich immer zurückziehen konnte, selbst in den schlimmsten Situationen.

»Nein.« Die Frau schüttelte den Kopf und betrachtete Madeleines Frage anscheinend als eine Einladung, den Wohnwagen zu betreten. »Er war nie hier, seit ich auf dem Platz bin.«

Sie stieg die kleinen Stufen herauf und sah sich nun noch etwas genauer um.

»Sie . . .« Madeleine räusperte sich. »Sie campen schon länger?«

»Ein paar Jahre«, sagte die Frau. »Entschuldigen Sie.« Sie lachte. »Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Ich bin Simi.« Sie streckte die Hand aus, um Madeleine zu begrüßen.

Madeleine sah das Dunkle unter den kurzen Fingernägeln. Nicht einmal die Hände hatte diese . . . Camperin sich gewaschen, bevor sie sie hier belästigen kam?

Deshalb ließ sie ihre eigenen Hände im Schoß liegen, wo sie gut aufgehoben waren, wie sie fand, und sah die andere nur abweisend an. »Höriger«, stellte sie sich vor. »Madeleine Höriger.«

Simi lachte wieder. »So formell sind wir hier nicht. Bei uns reicht der Vorname. Aber aus Gründen der Gleichberechtigung . . .« Sie neigte leicht den Kopf. »Steinert. Simone Steinert. Aber alle nennen mich Simi. Bei Simone würde ich wahrscheinlich gar nicht reagieren.«

Was sollte mich daran jetzt interessieren? fragte Madeleine sich stumm.

Sie ließ ihren Blick auf der Latzhose ruhen, in die dieses merkwürdige Geschöpf gekleidet war. Die Latzhose passte zu den Fingernägeln. Sie war dreckig.

»Sind Sie hier . . . beschäftigt?«, fragte sie. »Das sieht so nach Arbeit aus.«

Mit einem Finger zeigte sie auf die Flecken an den Knien der Hose. Deren Besitzerin musste damit im Dreck gekniet haben.

»Nein, nein.« Das Lachen dieser Simone Steinert schien ein fest eingebauter Bestandteil ihrer Persönlichkeit zu sein. »Ich wohne hier nur. Aber es ist immer etwas zu tun. Vorhin habe ich im Garten gearbeitet.«

»Im . . . Garten?« Madeleines Blick fiel durch die offene Wohnwagentür hinaus auf den Dschungel, der diesen Wohnwagen umgab.

»Ja.« Simi warf auch einen kurzen Blick nach draußen. Sie stand ja sowieso fast noch da. »Meiner sieht natürlich anders aus als der hier. Aber das kriegen Sie schnell hin, wenn Sie erst mal das Unkraut gejätet haben und die Sträucher zurückgeschnitten sind.«

»Gibt es Leute hier, die man beauftragen kann, das zu erledigen?«, fragte Madeleine und warf dabei einen angelegentlichen Blick auf Simis Arbeitskleidung. »Das kann ich ja wohl kaum selbst tun.«

Simis Augenbrauen hoben sich in baffem Erstaunen. Ungläubig. Sie hätte auch gleich sagen können Das können Sie nicht? Wieso nicht? Aber das sagte sie nicht, sondern sie lachte wieder. Musste so eine Art Virus sein.

»Das lernen Sie schnell«, meinte sie zuversichtlich. »Wir machen hier alles selbst. Und wenn wir etwas nicht allein machen können, helfen wir uns gegenseitig. Fragen Sie einfach.«

Ich dachte, das hätte ich gerade getan. Simone Steinerts Antwort war nicht die, mit der Madeleine gerechnet oder die sie erhofft hatte.

Hier lief offenbar alles etwas anders. Aber das war ja auch kein Wunder. Die Leute hier mussten arm sein. Sehr arm. Und sie wusste nicht, wie sich das anfühlte.

Sie schloss kurz die Augen. Oder vielleicht wusste sie es doch. Wenn sie sich vorstellte, dass das hier jetzt ihr Zuhause war. Dass sie hier in diesem . . . Schweinestall schlafen sollte.

Nein! Ihre Haare stellten sich innerlich wie äußerlich auf. Sie fühlte sich wie ein nach innen gewendeter Igel. Nein, nein, nein! Das konnte nicht sein! Widerstrebend öffnete sie die Augen wieder.

»Sie meinen, es gibt hier niemanden, der das für mich machen würde?« Schon an Simones Gesichtsausdruck erkannte sie, dass die Antwort nicht Ja lauten konnte. »Wenn ich ihn dafür bezahle?«

Wovon? dachte sie gleichzeitig. Wieso frage ich das überhaupt? Diese Erkenntnis brach plötzlich über sie herein wie eine Lawine. Die sie erstickte. Sie hustete.

»Alles in Ordnung?« Besorgt kam Simi auf sie zu und beugte sich über sie, legte eine Hand auf ihre Schulter.

Langsam schüttelte Madeleine den Kopf. »Schon gut. Es geht mir gut.« Wenn das nicht die größte Lüge des Jahrhunderts war!

»Sie waren noch nie auf einem Campingplatz, oder?«, fragte Simi. Freundlich lächelte sie auf Madeleine herunter. »Und Ihr Mann hat den Wohnwagen in einem schlimmeren Zustand hinterlassen, als Sie dachten.«

Madeleine stutzte. Eine steile Falte bildete sich über ihrer Nase, als sie den Kopf hob und Simi mit zusammengezogenen Augenbrauen ansah. »Mein . . . Mann?«

»Na ja.« Simi richtete sich wieder auf. »Peter. Er hat Sie geschickt, um hier aufzuräumen, weil er wiederkommen will. Mit Ihnen.«

In Madeleine zuckte es an mehreren Stellen. Wenn sie das nicht in den Griff bekam, würde sie gleich einen Lachanfall bekommen. Einen hysterischen.

»Peter ist nicht mein Mann«, sagte sie, während sie jede einzelne Faser in sich anspannte wie in einer Pilatesstunde. »Aber er braucht den Wohnwagen nicht mehr. Deshalb . . .«, sie räusperte sich, »hat er ihn mir überlassen.«

Sina Kani: Ein Bett im Caravan

1 »Das hast du dir selbst zuzuschreiben.« Madeleine hörte die Worte, aber sie konnte sie kaum...
»Ja, natürlich.« Madeleine nickte. Sie verstand das durchaus. In diesem Fall konnte sie Julianes...
»Das könnte doch dieser Peter sein«, vermutete Simi. »Kommt nach Jahren mal wieder vorbei.« »Nö....
Nachdem ihre Erstarrung sich gelöst hatte, atmete sie erst einmal tief durch. Das konnte alles...
Doch dass diese Frau meinte, Madeleine wäre jemand, die man einfach so irgendwo hinschicken...
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Im Wohnwagen gab es keinerlei sanitäre Anlagen. Männer verrichteten ihre Notdurft ja wie Hunde...
Endlich trat sie aus ihrem Wohnwagen hinaus und kämpfte sich durch die Büsche die ersten Meter zum...
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