Gedanken
Ruth Gogoll und andere Autorinnen schreiben über Themen, die sie bewegen.

Trotz aller Pandemien – menschlicher oder viraler – haben wir das Jahr ohne Namen 😉 überstanden und sind im Jahr 2021 gelandet. Mittlerweile haben wir sogar schon das erste Buch in diesem unserem 25. Jubiläums-Verlagsjahr veröffentlicht, und alles läuft so, wie es eigentlich jedes Jahr gelaufen ist. Vermutlich kann auch niemand sagen, dass sich diese erste Woche im neuen Jahr sehr von den letzten Wochen im alten Jahr unterschieden hätte.

Möglicherweise haben das einige erwartet, denn im Internet gibt es sehr witzige Bemerkungen dazu wie zum Beispiel am letzten Tag des vergangenen Jahres, an dem jemand schrieb: „Bevor ich mich mit 2021 einverstanden erkläre, möchte ich die Vertragsbedingungen sehen.“ 😄 Verständlich nach dem, was passiert ist, wenn auch leider nicht durchführbar. Und selbst, wenn es das gewesen wäre, wer hätte das Einhalten der Vertragsbedingungen einklagen können? Schade, aber die meisten von uns sind dazu gezwungen, realistisch sein.

In dieselbe Kerbe schlägt diese Bemerkung, die nach den ersten sieben Tagen von jemandem abgegeben wurde: „Ich habe jetzt die kostenlose 7-Tage-Testphase für 2021 abgeschlossen, und ich bin nicht interessiert an dem endgültigen Produkt.“

Oftmals bildet man sich ein, mit Silvester würde so etwas wie eine Ära zu Ende gehen und mit dem ersten Tag des neuen Jahres auch etwas ganz Neues beginnen. Deshalb beschließen dann viele, die erste oder auch hundertste Diät zu machen, melden sich im Fitness-Studio an, geben das Rauchen auf oder den Alkohol oder Zucker oder Fett oder Fleisch oder was auch immer. Obwohl das jedes Jahr regelmäßig nach 365 oder 366 Tagen passiert, tun wir oft so, als wäre ein Jahreswechsel etwas, das sehr selten vorkommt und sich selten wiederholt und deshalb etwas so Besonderes wäre, dass man das irgendwie würdigen oder zumindest für einen Neuanfang nutzen müsste.

Viele haben am Silvesterabend vermutlich die Augen geschlossen und gehofft, dass dieses Virus wie von Zauberhand am 1. Januar verschwunden sein würde, auch wenn das realistischerweise nicht zu erwarten war. Ein Jahreswechsel interessiert ein Virus nicht. Ein abrupter Abschluss der Pandemie und ihrer Auswirkungen wäre schön gewesen, aber so etwas ist leider nicht an den Kalender gebunden. Und abrupt geht da gar nichts.

Wie vor 100 Jahren bei der Spanischen Grippe, die jetzt immer als Vergleichspandemie herangezogen wird, kann man vielleicht sogar mit um die zwei Jahren rechnen, bis wir das hinter uns haben werden. Eventuell wird es durch den Impfstoff etwas verkürzt, aber das wissen wir noch nicht. Wir können es nur hoffen. Darüber kann dieser erste 7-Tage-Test des Jahres 2021 noch nichts aussagen.

Was aber für diese Zeit wie für alle anderen gilt, ist: Was uns passiert, können wir nicht ändern. Wir hatten da nichts zu entscheiden. Das Virus hat für uns entschieden, ohne uns zu fragen. Wir können uns verantwortungsbewusst verhalten und die Risiken minimieren, soweit uns das möglich ist, das ist alles. Wenn aber etwas wie dieses Virus uns trifft, egal, ob es bei uns selbst ausbricht oder ob wir nur durch die Schutzmaßnahmen betroffen sind, dann können wir darüber entscheiden, wie wir darauf reagieren. Diese Entscheidung haben wir immer, in jeder Situation.

Man kann mit Wut reagieren oder auch mit Angst, man kann mit Rebellion und Widerspruchsgeist reagieren und versuchen, das Ganze zu ignorieren wie die Kinder, die trotzdem irgendwelche Raves oder sonstige Veranstaltungen besuchen und sich ohne Schutzmaßnahmen dem größten Risiko einer Ansteckung aussetzen und damit eventuell das medizinische System überlasten (was in ihrem eigenen Tod enden könnte oder in dem einer anderen Person, der sie das Beatmungsgerät wegnehmen), ohne sich Gedanken darüber zu machen. Man kann mit Hochmut reagieren und sagen: So etwas passiert mir nicht. Oder auch mit Arroganz und sich weigern, vernünftige Maßnahmen zu ergreifen oder sich darüber lustigmachen, es als überflüssig hinstellen, vielleicht sogar irgendwelche Verschwörungstheorien wälzen.

Es ist unsere freie Entscheidung, wie wir uns verhalten, denn wir leben in einem freien Land, in dem wir diese Entscheidung haben. Worüber wir froh sein und uns gerade deshalb vernünftig verhalten sollten, aber das zu sagen ist wie der Rufer in der Wüste, das weiß ich sehr wohl. Vernunft war noch nie das oberste Prinzip in einer menschlichen Gesellschaft. Da gibt es andere Dinge, die den meisten Leuten wichtiger sind.

Mit den Auswirkungen dieser Unvernunft müssen wir leben, aber das heißt nicht, dass wir ihr uns anschließen müssen. Deshalb ist es das Beste, dieses Virus wie eine Erkältung oder eine normale Grippe zu betrachten (auch wenn es viel schlimmer ist) und uns entsprechend zu verhalten. Was machen wir, wenn wir erkältet sind oder eine Grippe haben? Wir bleiben zu Hause und kurieren uns aus. Wenn wir wieder gesund sind, gehen wir wieder zur Arbeit, in die Schule, in die Uni, zum Einkaufen oder wohin auch immer.

Das hier ist natürlich nicht ganz so, denn wir müssen auch zu Hause bleiben, wenn wir gar nicht erkältet sind, um uns vor Ansteckung zu schützen, aber auch das ist vernünftig. Ja, es ist eine Einschränkung. Ja, es ist unbequem. Aber es geht nicht um unsere persönliche Freiheit, es geht um die Gesamtgesellschaft. Unser Egoismus bringt nur andere in Gefahr, und das sollten wir möglichst vermeiden. Denn der Egoismus anderer könnte auch uns in Gefahr bringen. Also wäre es gut, wenn wir aus dieser Ich-Gesellschaft wenigstens für gewisse Zeit mal eine Wir-Gesellschaft machen würden. Wäre das nicht mal ein gutes Konzept? Auch für die Zeit danach?

Ich jedenfalls sehe in diesem 7-Tage-Test des neuen Jahres eine Chance auch für eine neue Verantwortung. Eine Verantwortung nicht nur für mich selbst, sondern auch für andere. Eine Chance dafür, zu lernen, dass es nicht immer nur um „Ich, ich, ich“ geht. Es geht um uns. Um uns alle. Wenn wir nett und rücksichtsvoll zueinander sind, werden wir diese Pandemie viel besser überstehen als mit Rücksichtslosigkeit. Ich bin überzeugt davon, dass das Jahr 2021 viel, viel besser wird als das Jahr ohne Namen. 😎 Schon allein deshalb, weil wir von el!es in diesem Jahr unseren 25. Geburtstag feiern. 🥳