Gedanken
Ruth Gogoll und andere Autorinnen schreiben über Themen, die sie bewegen.

Gab es eigentlich je schon einmal einen historischen Roman im LLP? Ich kann mich nicht erinnern. Jedenfalls würde mich interessieren, ob auch historische Romane für den LLP in Frage kommen. Du weißt schon, warum ich frage, Ruth. 😉

Ich vermisse historische Romane immer mehr, je mehr lesbische Romane es gibt. Früher gab es ja nichts außer el!es, aber mittlerweile gibt es doch eine ganze Menge. Hauptsächlich selbst publiziert, aber manche auch aus Verlagen. Ich weiß, Du hast mal gesagt, historische Romane verkaufen sich nicht gut, aber Dein Wie Honig so süß war doch ein ziemlicher Erfolg, wenn ich Dich da richtig verstanden habe. Jedenfalls hat das Buch sich nicht schlechter verkauft als andere Bücher, sagtest Du, auch wenn es kein Bestseller war.

Was mir bei vielen der aktuellen Bücher fehlt – nicht bei denen von el!es, die sind immer ausgenommen –, ist das Verständnis dafür, dass es nicht immer so war, wie es heute ist. Zumindest in Deutschland. In anderen Ländern kann man sich als Lesbe ja unter Umständen immer noch nicht so frei bewegen.

Viele der älteren Lesben werden sich noch daran erinnern, wie es vor einigen Jahrzehnten war. Das können sich Millenials anscheinend gar nicht mehr vorstellen, wenn ich die Bücher der jüngeren Autorinnen so lese. (Oder hineinschaue. Um sie ganz zu lesen, sind sie meistens gar nicht interessant genug.) Da geht es um solche Banalitäten, dass mir manchmal die Haare zu Berge stehen.

Was ich mir wünschen würde, wären Bücher mit mehr Tiefe. Wie gesagt: die Bücher von el!es immer ausgenommen, denn die haben Tiefe. Tiefe bedeutet aber auch Nachdenken über die Dinge, sich dessen bewusst sein, was vor fünfzig oder hundert Jahren war. Wie dankbar wir dafür sein können, wie es heute ist. Auch wenn noch nicht alles perfekt ist. Das möchte ich mir nicht von oberflächlichen Büchern, die sich mit nichts als Allerweltsalltäglichkeiten beschäftigen, kaputtmachen lassen.

Ich möchte intelligente Figuren, die nicht aus jeder Mücke einen Elefanten machen, sondern wirkliche Probleme haben, die sie dann gemeinsam überwinden. Die sich nicht gegenseitig mit Intrigen und Bösartigkeiten überziehen, nur um ihr Ego zu streicheln. Wo es nicht darum geht, andere niederzumachen, sich über andere lustigzumachen und so zu tun, als wäre man besser als die anderen. Wo nicht auf Leuten herumgetrampelt wird, nur um sich selbst so darzustellen, als könnte man mehr, wäre man mehr. Und jeder, der nicht der eigenen Norm entspricht, ist nur eine Witzfigur. Ich finde es manchmal schon unmenschlich, wie Menschen in manchen Büchern dargestellt werden.

Deshalb hätte ich gern mehr historische Romane. Denn in historischen Romanen geht es um Existenzielles, um Dinge, die damals Frauen davon abhielten, das Leben führen zu können, das ihnen angemessen war, ihrer Intelligenz, ihren Fähigkeiten und auch ihrer sexuellen Orientierung. Wenn eine Frau heiraten wollte, musste sie einen Mann heiraten. Als Frau eine Frau zu heiraten oder sich auch nur mit ihr in der Öffentlichkeit zu zeigen, zu flirten, zu schmusen, das war völlig unmöglich. Dafür wäre man unter Umständen sogar ins Gefängnis gewandert oder Schlimmeres.

Und auch wenn man nicht heiraten wollte, weil man mit Männern nichts anfangen konnte, wurde man oft verheiratet, musste heiraten, ob man wollte oder nicht. Und dann ein Leben lang auf Liebe verzichten, auf das, was man sich eigentlich wünschte. Und dafür das ertragen, was man sich nie gewünscht hatte und auch nicht schön fand, vielleicht sogar widerwärtig.

Das alles sind Probleme, wie wir sie heute nicht mehr haben. Unser Leben ist so viel einfacher. Doch ich finde, wir sollten uns immer wieder selbst daran erinnern, dass es nicht immer so war, dass es nicht akzeptiert war, lesbisch zu sein, dass das als „krank“ galt. Dass Frauen dafür in psychiatrische Anstalten eingesperrt und mit Elektroschocks „behandelt“ wurden. Manchmal, bis sie tot waren. Oder bis sie sich der heterosexuellen Lebensweise unterwarfen und ein Leben führten, wie es von ihnen erwartet wurde. Auch wenn es ihnen nicht entsprach und es für sie eine lebenslange Qual war.

Wenn sie dann jedes Jahr ein Kind bekamen, hatten sie vielleicht „Glück“ und starben bei einer Geburt. Mussten dieses ihnen verhasste Leben nicht zu Ende leben.

Davon ist in heutigen Romanen nichts mehr zu spüren. Was zum Teil sicherlich auch gut ist. Aber wenn man sich seiner eigenen Geschichte nicht bewusst ist, dann besteht die Gefahr, sie zu wiederholen. In anderen Bereichen haben wir das begriffen, aber vielleicht könnten lesbische historische Romane dazu beitragen, dass wir es auch im lesbischen Bereich begreifen und uns damit auseinandersetzen.

Deshalb denke ich darüber nach, einen historischen Roman für den LLP einzureichen. Wäre das in Ordnung?