Gedanken
Ruth Gogoll und andere Autorinnen schreiben über Themen, die sie bewegen.

@Hanna

Ich glaube, Du schießt Dich wirklich gerade selber ins Aus. 😉

Stell Dir die unzuverlässige Erzählerin so vor: Eine Frau rennt aus einem Gebäude. Völlig gehetzt und getrieben von Angst rennt sie zu ihrem Motorrad, schwingt sich drauf und entkommt gerade noch ihren zwielichtigen Verfolgern. Einer von den schmierigen Kerlen war so nah, dass er sie um ein Haar vom Motorrad hätte reißen können. Das Adrenalin pumpt durch ihre Venen, während sie davonbraust.

Doch ihre Verfolger geben nicht so schnell auf. Einer zieht eine Knarre und schießt auf sie, trifft sie am Arm, Bein oder wo auch immer und verletzt sie so. Mit letzter Kraft fährt sie (evt. nach einer kurzen Verfolgungsjagd durch die Stadt, wo sie ihre Verfolger abhängt) irgendwo auf dem Land auf eine abgelegene Scheune zu. Dort bricht sie völlig entkräftet im Stroh zusammen. Ihre Hand noch in ihre Jacke gekrallt, schläft sie im Stroh ein. Blut läuft unaufhörlich aus ihrer Wunde und ihre dunkle Kleidung ist damit getränkt. Ihr letzter Gedanke gilt dem Inhalt ihrer Jackentasche, den sie, Gott sein Dank, vor diesen miesen Kerlen hat in Sicherheit bringen können.

Am nächsten Morgen wacht sie mit Schmerzen auf. Sie sieht an sich runter und ihre Wunde wurde professionell versorgt.  Eine Frau ist bei ihr und scheint nur darauf gewartet zu haben, dass sie aufwacht. Schnell greift sie nach ihrer Jacke, die neben ihr im Stroh liegt. Sie ist samt Inhalt noch da. Die fremde Frau wirkt distanziert, aber sie bietet ihr Suppe an. Unsere Heldin ist verunsichert. Die fremde Frau hat aber etwas an sich, dass unsere Heldin fasziniert. Ok, reden wir's nicht schön: Sie findet sie saugeil. Sie wäre nicht abgeneigt, mit ihr ein ordentliches Schäferstündchen zu halten. 😉

Aber in ihr drin brodelt die Angst und sie hat Schmerzen. Hat die Fremde in ihre Jackentasche geschaut, während sie geschlafen hat? Arbeitet sie mit ihren Verfolgern zusammen und hat die bereits informiert? Ist von den Dreckskerlen bereits ein Kopfgeld auf sie ausgesetzt worden, welches sich die fremde Frau sichern will? Ist die Suppe vergiftet?

Du merkst, hier könnte eine Liebesgeschichte beginnen. Unsere Heldin ist hin und her gerissen von ihren Gefühlen für die fremde Frau und der Angst, dass sie sie an ihre Verfolger ausliefert oder selbst den Inhalt ihrer Tasche haben will. Doch warum hat die fremde Frau dann die Gelegenheit nicht genutzt, als sie geschlafen hat? Fragen über Fragen . . .

Zum Showdown wird unsere Heldin dann zusammen mit der fremden Frau, die sie – warum darfst Du Dir selbst ausdenken – begleitet hat, von ihren Verfolgern geschnappt. Beide stehen mit dem Rücken, Hand in Hand, an die Wand gepresst da. Sehen in die dunklen Läufe der Pistolen, die von diesen dreckig grinsenden Kerlen auf sie gerichtet sind.

Und erst jetzt erfährt die Leserin, dass unsere Heldin eine Juwelendiebin ist. Die Flucht am Anfang war, weil sie gerade einen Juwelier ausgeraubt hat oder was auch immer geklaut hat. Du siehst, unsere Heldin ist eine Diebin, sie ist eine unzuverlässige Erzählerin, weil sie die Polizei, die sie die ganze Geschichte über verfolgt hat, als die Bösen darstellt. Sie sieht nicht ein, warum die sie verfolgen. Sie hat doch nur dafür gesorgt, dass Reichtum umverteilt wurde. Ihre Beweggründe, das wertvolle Juwel zu stehlen, sieht sie selbst als völlig gerechtfertigt an. Grund für diese Tat darfst Du Dir selber aussuchen.  😉

Nun meine Frage: Hast Du mir geglaubt, dass unsere Heldin wirklich die Heldin ist oder bist Du während meiner Erzählung auf die Idee gekommen, dass sie eine Diebin sein könnte, bevor ich es Dir gesagt hab? Falls Du an die Heldin geglaubt hast, dann bist Du mir, die ich hier auch als unzuverlässige Erzählerin aufgetreten bin, auf den Leim gegangen. Und das wohl nur, weil ich die Polizei als Dreckskerle und böse Verfolger beschreiben habe, die auf sie geschossen haben, und ich die Diebin als unschuldige Heldin dargestellt hab?

Bei dieser Variante hier hättest Du auch nur eine Ich-Perspektive. Und ja, falls Du das hier haben willst, kannst Du gerne verwenden. Ich bin noch in der Phase, da übe ich mich lieber noch im Schreiben einer herkömmlichen Liebesgeschichte. 😉