Über das Schreiben
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Liebesromane sind eine uralte Gattung, denn Liebe ist so universell wichtig, dass kaum eine Kultur auf ihre Beschreibung verzichten kann. Doch obwohl dieses Gefühl doch eigentlich jedem bekannt sein müsste, wird sich über seine Beschreibung immer wieder lustiggemacht. Ist es den Menschen, die sich darüber lustigmachen, vielleicht peinlich, weil sie auch schon einmal so etwas empfunden haben, wie es in Liebesromanen beschrieben wird? Wollen sie es lieber nicht wahrhaben, dass sie ebenfalls liebesfähig sind und sich vielleicht schon einmal genauso „kitschig“ gefühlt haben, wie sie es an den Romanen bemängeln? Bilden sie sich so viel auf ihre Vernunft ein, dass sie sich sogar einbilden, sie stände über allem, selbst über dem Gefühl, das so tief aus unserem Inneren kommt?

Ehrlich gesagt weiß ich es nicht, denn schließlich bin ich selbst Liebesromanautorin und glaube an die Liebe als das Wichtigste, was es gibt auf der Welt. Auch wenn man leider oft sehr wenig davon sieht. Aber umso wichtiger ist es, dass sie immer und immer wieder in Romanen, in Geschichten aller Art wie zum Beispiel auch in Filmen, die ja nichts weiter als Bildergeschichten sind, beschrieben und dargestellt wird, wie sie sein sollte. Denn woher sollten wir sonst unsere Vorbilder für ein wirklich liebevolles Verhalten nehmen?

Nun gibt es aber sehr verschiedene Vorstellungen davon. Einige davon finde ich eher irritierend. Genauso irritierend finden einige andere Menschen jedoch die Romane einer Hedwig Courths-Mahler. Und sie machen sich gern darüber lustig, weil sie sich über dieses Dienstmädchen, die zur Autorin wurde, und das auch noch sehr erfolgreich, und über ihre Sichtweise der Welt erhaben fühlen.

Dann jedoch sehe ich die ganzen „Romane“, die beispielsweise im Self-Publishing veröffentlicht werden, und frage mich: Hätten die nicht mal ein bisschen Courths-Mahler lesen und von ihr lernen können?

Hedwig Courths-Mahler – ich betone es noch einmal – war ein Dienstmädchen. Vermutlich kann sich heutzutage niemand mehr vorstellen, was das vor 140 Jahren, als Hedwig Courths-Mahler anfing zu arbeiten, bedeutet hat. Es bedeutete, man konnte nicht zur Schule gehen, wie wir das heute gewöhnt sind. Man konnte froh sein, wenn man ein wenig schreiben und lesen und rechnen konnte. Eventuell gingen Kinder aus so armen Familien überhaupt nicht zur Schule. Geschweige denn, dass sie Romane schrieben. Dass sie der deutschen Sprache überhaupt mächtig genug waren, um das auch nur in Erwägung zu ziehen.

Schon der erste Punkt für Courths-Mahler. Wie hat sie es überhaupt fertiggebracht, die deutsche Sprache so gut beherrschen zu können, um mehr als eine Einkaufsliste und ihren Namen zusammenzukriegen? Um noch einmal das Beispiel mit dem Self-Publishing zu bemühen: Vermutlich sind alle diese Autorinnen und Autoren wesentlich länger zur Schule gegangen als Hedwig Courths-Mahler, trotzdem beherrschen viele von ihnen die deutsche Rechtschreibung und Grammatik kaum.

Der zweite Punkt ist: Woher nimmt man die Zeit zum Schreiben? Ach du liebe Güte, wir sind ja alle so beschäftigt! Da ist es oft schon zu viel, wenn ich vorschlage, doch vielleicht einmal eine halbe Stunde am Tag fürs Schreiben zu reservieren oder 250 Wörter am Tag anzupeilen, die man locker in einer Viertelstunde schreiben kann. Keine Zeit, keine Zeit.

Dienstmädchen, und ich erinnere erneut daran: Hedwig Courths-Mahler war ein solches, hatten einen Arbeitstag, wie wir uns das heute nun wirklich nicht mehr vorstellen können. Sie mussten morgens in aller Frühe aufstehen, das hieß vor Sonnenaufgang oder im Sommer vielleicht bei Sonnenaufgang, um das Haus für „die Herrschaft“ gemütlich herzurichten. Die Öfen und Kamine mussten angeheizt werden – denn so etwas wie Zentralheizung, Elektrizität o. ä. gab es nicht –, sodass die „Herrschaften“ im Warmen aufstehen und frühstücken konnten. Auch das Frühstück musste zu dem Zeitpunkt für alle Hausbewohner, die in der Belle Etage wohnten, fertig sein, wenn sie es zu sich nehmen wollten. Ebenso wie natürlich alle anderen Mahlzeiten.

Dienstpersonal wohnte nicht so „belle“, sprich schön, sondern in kleinen Kammern direkt unter dem Dach (schön heiß im Sommer und schön kalt im Winter, weil keine Heizung, von Klimaanlage mal ganz zu schweigen) oder eventuell im Keller, wo auch die Küche und die Räume waren, in denen die Dienste verrichtet wurden, die die „Herrschaften“ nicht sehen wollten und durften, Schuheputzen, Waschen, Bügeln, Nähen usw. (Die Dame des Hauses konnte ja schließlich nicht selbst einen Knopf annähen oder der Herr des Hauses sich selbst die Schuhe putzen. Das wäre unzumutbar gewesen.) Die „Herrschaften“ mussten immer den Eindruck haben, alles im Haus liefe wie von selbst. Kein Dienstmädchen dürfte sich auf den Fluren zeigen, wenn der Herr oder die Dame des Hauses dort unterwegs war.

Jedoch obwohl ein Dienstmädchen so früh aufstehen und den ganzen Tag über sehr schwer körperlich arbeiten musste, hatte sie keinen 8-Stunden-Tag, wie das heute so üblich ist. Weniger als acht Stunden sogar. Von Wochenende ganz zu schweigen. Gearbeitet wurde sieben Tage die Woche. Wenn man Glück hatte, hatte man vielleicht einmal einen Nachmittag in der Woche frei oder ein paar Stunden. Natürlich erst, nachdem man all seine Arbeit verrichtet hatte. Und der Tag dauerte so lange, wie die „Herrschaften“ es für nötig hielten. Das heißt, wenn abends vielleicht noch Gäste eingeladen waren, die bis spät in der Nacht blieben, musste das Personal natürlich auch so lange zur Verfügung stehen und konnte nicht ins Bett gehen. Alles musste noch saubergemacht werden, nachdem die Gäste gegangen waren. Und am nächsten Tag ging es vor Sonnenaufgang wieder raus.

Warum beschreibe ich das so genau? Das liegt glaube ich auf der Hand. Wann hat Hedwig Courths-Mahler bei einem solchen Tag, der vielleicht sechzehn oder achtzehn Stunden schwerster körperlicher Arbeit beinhaltete, noch geschrieben? Sie hat es wohl nachts getan. Hat sie dafür eventuell auf ihren Schlaf verzichtet? Aber bei der schweren Arbeit, die sie verrichten musste, wäre sie dann wohl schon sehr bald umgefallen.

Das heißt, Hedwig Courths-Mahler muss eine geniale Organisatorin gewesen sein. Obwohl sie kaum Freizeit hatte, keine eigentlich, hat sie sich wahrscheinlich tatsächlich von ihrer Nachtruhe so viel Zeit abgeknapst, dass sie sogar Romane schreiben konnte. Und da kommen heutzutage Leute und sagen, sie hätten keine Zeit zum Schreiben? Ihr Tag wäre so voll? Soll ich das wirklich glauben?

Es gäbe sicherlich noch sehr viel mehr darüber zu sagen, aber ich würde jetzt gern zum dritten Punkt kommen, und das ist der Aufbau der Geschichten, die Charakterisierung der Figuren, das schriftstellerische Handwerk, würden wir es heute wohl nennen. Hedwig Courths-Mahler muss wirklich hochintelligent gewesen sein, um das so gut hinzubekommen. Und das ohne große Schulbildung, ohne jegliche Anleitung, ohne auch nur den Anflug einer Schreibwerkstatt oder von Schreibratgebern, die man heute massenweise kaufen kann. So etwas gab es damals nicht. Und selbst, wenn es sie gegeben hätte, hätte sich Hedwig Courths-Mahler das von ihren paar Pfennigen, die sie für ihre schwere Arbeit verdient hat, nicht leisten können. Sie hat sich also alles selbst beigebracht.

Und was hat sie sich beigebracht? Die Geschichten von Hedwig Courths-Mahler sind immer logisch. Unter der Prämisse natürlich, unter der sie schreibt. Also edle Jungfrauen und edle Grafen, die gar nichts anderes tun können, als sich ehrenhaft zu verhalten.

Das ist aber schon sehr, sehr viel. Denn wie oft habe ich Manuskripte gesehen, ob jetzt hier im Verlag oder im Self-Publishing oder sogar bei veröffentlichten Büchern(!) großer Verlage, in denen die Figuren alles andere als konsistent sind, am Anfang herumschreien und später dann sanfte Lämmer sein sollen, was natürlich nicht heißt, dass sie nicht plötzlich ihren Charakter wieder um hundertachtzig Grad ändern können. Diese Figuren sind so weit von Konsistenz entfernt, wie es nur geht. So etwas wird man bei Hedwig Courths-Mahler niemals finden. Wenn ein edler Graf ein edler Graf ist, dann bleibt er das auch durch das ganze Buch hindurch und wird nicht plötzlich zum Straßenräuber oder umgekehrt. Man kann sich also immer auf die Figuren verlassen.

Zugegeben, das macht die Geschichten auch ziemlich vorhersehbar, aber das soll jetzt hier nicht unser Thema sein. Denn nur dadurch, dass eine Figur alle paar Seiten ihren Charakter ändert, wird eine Geschichte nicht weniger vorhersehbar und schon gar nicht besser.

Aus diesen konsistenten Figuren ergeben sich dann auch logische Geschichten – wie gesagt, immer unter der gegebenen Prämisse –, denn wenn eine Figur sich nur auf eine bestimmte Art verhalten kann, muss ihr Verhalten innerhalb ihres eigenen Universums auch logisch sein. Also entwickelt sich auch die Geschichte logisch, denn sie kann gar nicht anders.

Ich würde mir manchmal wünschen, heutige Autoren und Autorinnen würden ihre Geschichten aus genauso konsistenten Figuren und genauso logisch entwickeln. Das heißt nicht, dass man nicht irgendwelche Verwicklungen einbauen kann oder Überraschungen, das geht immer. Aber auch sie müssen zum Schluss zu den Figuren passen und sie müssen innerhalb des roten Fadens der Geschichte logisch sein.

Ohne Wendungen und überraschende Entwicklungen bleibt der Spannungsbogen in einer Geschichte recht flach. Das ist er bei vielen Liebesromanen auch. In einem guten Liebesroman allerdings nicht. Denn wenn eine Autorin ihr Handwerk beherrscht, gibt es fast keine Grenzen für eine Geschichte.

Und von Hedwig Courths-Mahler können wir lernen, dass sie sich von allen Beschränkungen, die ihr durch ihr Leben auferlegt waren, nicht daran hat hindern lassen, solche Geschichten aufzuschreiben. Mit der Hand, beim Licht einer Kerze oder allenfalls einer dunklen Petroleumlampe, müde und zerschlagen von der harten Arbeit des Tages, auf einem noch härteren Holzstuhl und an einem wackligen kleinen Nachttischchen, ohne Computer, ohne Handy, ohne Internet, ohne Diktierprogramme, wie ich im Moment gerade eins benutze.

Sie hat sich durch nichts in ihrer Leidenschaft aufhalten lassen, auch wenn sie dadurch vielleicht nur zwei Stunden Schlaf bekam und am nächsten Tag wieder achtzehn Stunden lang Kohlen schleppen musste.

Wenn das nicht bewundernswert ist und etwas, das wir von ihr lernen können, dann weiß ich auch nicht.