»Das denke ich ja auch«, sagte Sofie. Sie rang die Hände. »Aber Cristó ist so davon überzeugt . . .«

»Wer ist Cristó?«, fragte Mara. Sie hatte automatisch in den Anwaltsmodus geschaltet. Personen, die für den Fall von Interesse waren, Zeugen, vielleicht sogar Verdächtige . . .

»Er ist . . . Er ist . . .« Sofie schien sich nicht ganz sicher zu sein. »Er ist der Mann, den ich heiraten werde!«, stieß sie dann hervor.

»Heiraten?« Erstaunt blickte Mara sie an. »Wie alt bist du noch mal?«

»Neunzehn«, erwiderte Sofie trotzig. »Alt genug.«

»Oh, neunzehn.« Mara musste trotz der Situation schmunzeln. Teenager waren doch auf der ganzen Welt gleich. »Da hast du ja schon ein gesegnetes Alter erreicht.«

»Mit dir und Sylvi kann ich natürlich nicht konkurrieren«, gab Sofie beleidigt zurück. »Wie alt seid ihr noch mal?«

»Schon gut.« Erschöpft winkte Mara ab. »Ich will mich nicht mit dir streiten. Ich habe einen langen Flug hinter mir und anstrengende Stunden im Gefängnis.«

»Ja . . . ähm . . . sorry«, murmelte Sofie. Ihre Stimmungen wechselten schnell. »Ich wollte dich nicht – Ich meine, ich habe dich ja schließlich angerufen, damit du uns hilfst.«

»Uns?«, fragte Mara. »Bist du denn auch in Schwierigkeiten?«

»Nein, natürlich nicht.« Die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen. Wie vorher zurechtgelegt. Was an sich schon verdächtig war.

»Hm«, sagte Mara. Sie musterte Sofie und sah die typischen Anzeichen. Wegschauen, sich ins Gesicht fassen, angestrengt zusammengepresste Lippen, die unbeeindruckt erscheinen sollten. Sie sagte nicht die Wahrheit.

Aber damit wollte Mara sich jetzt nicht beschäftigen. Sie war wirklich furchtbar erschöpft, und sie musste ihre Kräfte sammeln, um Judith . . . Sylvia helfen zu können. Was sie unbedingt wollte, aber noch nicht wusste, wie. Sofie war nur ein Nebenschauplatz. Was Sylvia half, würde auch Sofie helfen. Denn sie würde sich immer um Sofie kümmern. Komme da, was wolle.

»Kannst du mir mein Zimmer zeigen?«, fragte sie. »Du sagtest ja, ich brauchte mir kein Hotelzimmer zu nehmen.«

»Wir haben genug Platz.« Offensichtlich war Sofie froh, dass Mara ein anderes Thema anschnitt. Sie sprang auf. »Komm. Ich zeige es dir.«

Mara folgte Sofie und war überrascht vom großzügigen Schnitt des Hauses. Es waren mehr als genug Zimmer vorhanden. Vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass hier nur Sylvia und Sofie wohnten. In Deutschland hätte man dafür eine ganze Menge Geld hinlegen müssen.

Aber was wusste sie schon? Vielleicht war die Frau, die sie als Judith gekannt hatte und die jetzt Frau Dr. Sylvia Stein war, tatsächlich reich. Vielleicht verdienten Ärzte hier so gut, dass es normal war, ein solches Haus zu bewohnen. Zehn Jahre waren eine lange Zeit.

»Danke«, sagte sie, als Sofie eine Tür aufstieß und in das Zimmer hineinwies. Mara trat an ihr vorbei und stellte ihren Koffer ab.

Das Zimmer war sehr groß. Ein Doppelbett mit einem Himmel darüber ließ sie fast auflachen. Als sie Sylvia noch als Judith gekannt hatte, war sie ein eher trockener Typ gewesen, was die Inneneinrichtung betraf. Eigentlich bedeutete ihr so etwas nichts. Sie lebte nur für ihren Beruf. Sie hätte sich damals nicht viel aus einem Himmelbett gemacht.

»Einige der Möbel waren schon im Haus«, erklärte Sofie beiläufig. »Die hier auch. Sylvi wollte das immer ändern, aber es war nie Zeit dazu.«

Aha, da war die Begründung. Ein quasi vormöbliertes Haus. Das passte wieder zu Judith. Weil sie sich nichts daraus machte, störte es sie auch nicht. Und sie war froh, dass sie sich nicht darum kümmern musste, Möbel auszusuchen.

»Du kannst aber auch ein anderes Zimmer haben«, bot Sofie an. »Such dir einfach eins aus.«

»Nein, nein.« Mara schüttelte den Kopf. »Das hier ist schon in Ordnung. Ich werde ja nicht ewig bleiben. Hoffentlich«, fügte sie seufzend hinzu. »Wenn Ju- Sylvia es nicht getan hat, müssen sie sie entlassen.«

»Da wäre ich nicht so sicher.« Sofie verzog zweifelnd das Gesicht. »Hier ist es anders, weißt du? Das hier ist nicht Europa.«

»Aber es gibt doch auch Gesetze.« Als Juristin hatte Mara zwar schon viele ihrer idealistischen Vorstellungen, die sie gehabt hatte, als sie zu studieren anfing, revidieren müssen, aber trotzdem waren Gesetze für sie immer noch etwas, das Sicherheit versprach. Eine gewisse Ordnung. Etwas, woran man sich halten konnte. Wenn sie das nicht geglaubt hätte, hätte sie schon längst den Beruf gewechselt.

»Ja, die gibt es.« Sofie nickte. »Aber Cristó sagt, die werden Sylvi auch nicht viel helfen. Weil sie jemand gesehen hat. Sie, aber niemand anderen.« Tränen traten in ihre Augen. »Und ihr Handy war im Zimmer des Ermordeten. In seinem Hotelzimmer.«

»Ja, ich weiß«, sagte Mara. »Aber das sind noch lange keine Beweise. Nur Indizien.«

»Ist das ein großer Unterschied?« Sofies blaue Augen öffneten sich weit.

»Ein sehr großer«, erwiderte Mara. »Zumindest da, wo ich herkomme. Zum Schluss braucht man immer Beweise. Indizien allein – vor allem, wenn es so wenige sind – reichen da nicht. Und das werde ich den Leuten hier klarmachen.«

»Cristó sagt –«

Bevor Sofie den Satz beenden konnte, unterbrach Mara sie schon. »Bist du sicher, dass du diesen Mann wirklich heiraten willst? Wenn er so wenig hinter dir und deiner Schwester steht?«

Darüber hatte Sofie anscheinend noch nie nachgedacht. Sie sah ziemlich baff aus.

»Entschuldige.« Mara fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Ihre Schläfen pochten vor Überanstrengung. »Das geht mich ja nichts an. Ist deine Privatsache.« Sie lächelte um Verzeihung bittend. »Ich habe Kopfschmerzen. Möchte eigentlich jetzt nur noch schlafen.«

»Hmhm.« Sofie nickte, sagte sonst nichts mehr und zog die Tür hinter sich zu.

Ohne sich auszuziehen, legte Mara sich aufs Bett. Sie musste eine Kopfschmerztablette nehmen. Oder zwei. Sie kannte diese Art Schmerzen. Sie befielen sie immer, wenn sie das Gefühl hatte, sich in einer Sackgasse zu befinden.

Da sie keine Strafverteidigerin war, waren diese Sackgassen normalerweise jedoch wesentlich weniger ernst als diese Situation hier. Hier ging es um das Leben der Frau, die sie einmal geliebt hatte. Die sie Knall auf Fall verlassen hatte, aus ihrem Leben verschwunden war. Nicht aufzufinden. Keine Nachricht, nichts.

Für Judith war ihr Beruf ihr Leben gewesen. Als man ihr ihre Approbation entzog, hatte sie kein Leben mehr gehabt. Auch keins mit Mara. Obwohl das eine nichts mit dem anderen zu tun hatte.

Mara war sich Judiths nie so sicher gewesen, wie Judith es umgekehrt in Bezug auf Mara sein konnte. Judith hatte eine Vergangenheit mit Männern, die ihr zum Teil immer noch hinterherliefen. Sie war eine Frau, die die Aufmerksamkeit auf sich zog. Von Männern wie Frauen.

Dennoch hatte Judith Mara nie betrogen. Nicht mit einem Menschen, gleich welchen Geschlechts. Wenn sie das getan hatte, dann nur mit ihrem Beruf. Das allerdings ausgiebig. Was immer wieder zu Streit zwischen Mara und Judith geführt hatte.

Mara war eine engagierte Anwältin. Und wenn man sich eine Karriere aufbaute, war manchmal nicht viel Zeit für Privatleben. Aber dann musste man eben Prioritäten setzen. Auch mal das Private vor das Berufliche stellen.

Für Judith war es immer umgekehrt gewesen. Es gab nur eine einzige Priorität, und das waren ihre Patienten. Wildfremde Menschen waren immer wichtiger für sie als Mara.

Hanna Berghoff: Geflohen ins Paradies

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