Erneut lachte Sylvia hohl auf. »Das wird nicht so einfach sein. Der Polizeipräfekt hat es mittlerweile zu einer Angelegenheit seiner persönlichen Ehre gemacht, diese Gringa da im Gefängnis vorzuführen. Zu zeigen, dass sich Gringos nicht alles erlauben können. Und schon gar nicht eine europäische Frau.« Ihr Lachen versank in einem etwas krächzenden Geräusch. »Die es gewagt hat, sich einem Mann zu widersetzen. Ihn sogar umzubringen.«

»Ist diese Art von Leidenschaft in südlichen Ländern nicht anerkannt?«, fragte Mara mit einem ironischen Lächeln. »Ich dachte, das wäre sie.«

Sylvia nickte. »Ja, wenn ein Mann seine Frau aus Eifersucht ermordet, hat er natürlich jedes Recht dazu. Weil sie ihn in seiner männlichen Ehre gekränkt hat. Und nichts geht über die männliche Ehre.« Sie holte tief Luft. »Aber eine Frau hat diese Art von Ehre nicht. Sie muss sich fügen, egal, was ein Mann von ihr verlangt.«

Kurz war Mara still. »Du warst in seinem Zimmer«, sagte sie dann mit so wenig Betonung wie möglich.

»Oh, du denkst, das war es?« Mit einer wilden Bewegung riss Sylvia sich von ihr los.

»Nun . . .«, setzte Mara vorsichtig an. »Du hattest früher auch etwas für Männer übrig.«

»Im Gegensatz zu dir, nicht wahr?« Sylvia fühlte sich, als hätte Mara sie gerade ihrer letzten Hoffnung beraubt, nachdem sie ihr einen Silberstreif am Horizont gezeigt hatte. »Und deshalb bin ich schuldig. Schuldig, keine Lesbe zu sein.«

Tadelnd schüttelte Mara den Kopf. »Lass uns nicht wieder darüber streiten. Nach zehn Jahren . . .« Da Sylvia sich in ihrer Erregung etwas von ihr entfernt hatte, trat sie einen Schritt näher auf sie zu. »Darum geht es doch nicht. Aber er soll ein sehr charmanter Mann gewesen sein, und ich würde dir keinerlei Vorwurf machen, wenn du –«

»Du würdest so tun, als würdest du mir keine Vorwürfe machen«, behauptete Sylvia. Sie fühlte sich verletzt. Und wie ein verwundetes Tier biss sie um sich, obwohl sie ganz genau wusste, dass Mara jedes Wort meinte, das sie sagte. »Aber in Wirklichkeit würdest du denken, ich habe gar nichts Besseres verdient, als hier im Gefängnis zu sitzen. Weil ich mich mit einem Mann eingelassen habe.«

Mara verschränkte die Arme vor der Brust. »Weißt du, was ich jetzt wirklich gern tun würde?« Sie hob fragend die Augenbrauen. Und als Sylvia sie ansah, fuhr sie fort: »Ich würde dich jetzt gern schlagen. Damit du mit diesem Unsinn aufhörst.«

»Und warum tust du’s nicht?«, gab Sylvia schnippisch zurück.

»Du bist größer als ich«, stellte Mara schmunzelnd fest. »Was hätte ich da für eine Chance?«

Sylvia spürte die Anspannung durch ihre Muskeln rasen, als würde jeder einzelne wie mit einem Lichtschalter eingeschaltet, auf Spannung hochgefahren. Ihre Arme fühlten sich auf einmal an, als wären sie aus Holz gemacht, hart und unbeweglich.

Doch dann konnte sie dem Druck nicht mehr standhalten. Sie fiel auf die Pritsche nieder. »Du hast ja recht«, gab sie ehrlich zu. Sie keuchte fast, als hätte sie eine große Anstrengung hinter sich.

»Womit habe ich recht?«, fragte Mara, und nun klang ihre Stimme so, als würde sie eine Zeugin vor Gericht befragen.

»Nicht mit der Affäre.« Mit schmerzgefüllten Augen schaute Sylvia zu ihr auf. »Ich hatte nichts mit ihm. Ich kannte ihn gar nicht.«

»Und warum warst du dann in seinem Zimmer? War er krank?«, fragte Mara weiter. »Brauchte er ärztliche Hilfe?«

Weil die Erinnerung sie wieder überfiel, schloss Sylvia gequält die Augen. »Als ich ankam . . . Als ich sein Zimmer betrat . . .«, sie schluckte, »war er bereits tot.«

»Und da du ihn nicht kanntest, hast du keine Ahnung, wer das getan haben könnte«, setzte Mara den Gedankengang fort.

Sylvia nickte. »Ich bin zu ihm hingegangen, habe seinen Puls gefühlt, wollte ihm helfen. Wenn ich das noch gekonnt hätte. Aber es war zu spät.« Sie holte tief Luft und richtete sich auf der Pritsche auf. »Er war noch warm, aber niemand hätte ihm mehr helfen können. Der beste Arzt nicht.«

»Du hättest das melden müssen«, sagte Mara. »Eine Ambulanz rufen. Oder die Polizei.«

»Ja.« Sylvia stützte ihre Arme neben sich ab, um ihrer Lunge mehr Platz zu geben, besser durchatmen zu können. »Das hätte ich tun müssen.«

Anscheinend wartete Mara darauf, dass sie weitersprach, aber das tat sie nicht. »Aber du hast es nicht getan. Du hast dich aus dem Hotel geschlichen«, wiederholte sie deshalb das, was sie über den Fall wusste, was sie darüber gelesen hatte. »Als hättest du etwas mit der Sache zu tun. Als wolltest du nicht gesehen werden.«

»Wollte ich auch nicht.« Müde griff Sylvia mit einer Hand an das Metallgestell des Bettes und zog sich daran hoch, sodass sie wieder aufrecht saß. »Das ist doch kein Verbrechen. Ich habe ihn nicht umgebracht. Ich habe ihn nur gefunden. Es waren . . . unglückliche Umstände, weiter nichts.« Sie lachte auf. »Aber das glaubt mir natürlich niemand.« Sie betrachtete Mara zweifelnd. »Du auch nicht.«

Mit einem warmen Blick in den Augen sah Mara sie an. »Selbstverständlich glaube ich dir. Aber wenn du es selbst nicht tust . . . Ich habe das Gefühl, da ist etwas, das du mir verschweigst. Das du jedem bisher verschwiegen hast.« Sie ging in die Knie und hockte sich vor Sylvia hin. »Willst du es mir nicht sagen?«, fragte sie sanft.

Sylvia fühlte ein Drängen in sich, ein ganz tiefes Bedürfnis, sich zu offenbaren. Als wäre sie in der Kirche und wollte eine Beichte ablegen.

Aber dann sagte sie: »Ich kann nicht.«

6

»Ich bin so froh, dass du gekommen bist.« Man sah Sofie die Erleichterung richtig an. »Aber hättest du mich nicht ins Gefängnis mitnehmen können?« Schon war der vorwurfsvolle Teenager zurückgekehrt. »Warum bist du vom Flughafen direkt dorthin gefahren, statt zuerst mit mir zu sprechen? Statt zuerst hierher zu kommen?«

Mara war noch etwas mitgenommen von dem Gespräch mit Judith. Oder mit Sylvia, wie sie sich jetzt nannte. Und dass sie auf einmal mit Sofie auf dieser Terrasse saß, in einem Haus, das sie nicht kannte, in einer Stadt, die sie nicht kannte, in einem Land, das sie nicht kannte und dessen Sprache sie nicht sprach, half auch nicht gerade dabei, sich zu erholen.

»Ich war nicht sicher, ob sie mich überhaupt reinlassen«, sagte sie. »Deshalb wollte ich keine Zeit verlieren.«

»Und? Was sagt sie?« Eifrig beugte Sofie sich zu Mara vor. »Wie geht es ihr?«

»Schlecht«, antwortete Mara ehrlich, bevor sie darüber nachdenken konnte, dass das vielleicht nicht die richtige Antwort für eine kleine Schwester war, für die ihre große Schwester wie eine Mutter war. Sie nahm einen Schluck Wasser aus dem Glas, das sie in der Hand hielt. »Aber sie lässt dich grüßen. Du sollst dir keine Sorgen machen.«

»Pah! Das ist wieder typisch Sylvi!«, fuhr Sofie auf. »Keine Sorgen? Wie soll ich das denn machen?«

»Wir werden einen Weg finden«, versprach Mara. »Wir müssen einen Weg finden!«

»Hat sie ihn umgebracht?«, fragte Sofie.

»Bist du verrückt?« Jetzt fuhr Mara mit blitzenden Augen auf. »Du hast mir doch selbst erzählt, dass du nicht glaubst, dass sie das getan hat. Dass du weißt, dass sie es nicht getan hat.«

Hanna Berghoff: Geflohen ins Paradies

Vorsichtig blickte die große Frau sich um, als sie aus dem Hotelzimmer trat. Die ausladenden...
»Kannst du nicht mal eine einzige Stunde ohne Handy auskommen?«, fragte Sylvia seufzend. »Davon...
Sie zuckte die Schultern. »Was soll ich dazu sagen?« Gleichzeitig erhob sie sich. »Ein Glas Wein?«...
»Ich verstehe nur Bahnhof«, mischte Sofie sich unzufrieden ein. Ihr Blick wanderte zwischen...
»Sie waren dort. Man hat Sie gesehen«, wiederholte er mit kalter Stimme. »Und Ihr Handy beweist,...
Schon wieder diese unbekannte ausländische Nummer. Irritiert schüttelte sie den Kopf. Sollte sie...
Seit drei Tagen ging das so, und auch wenn sie nach außen hin den Anschein erweckte, dass sie das...
»Nicht deshalb.« Auch Mara stand wieder auf. »Du weißt ganz genau, dass das nicht der Grund war....
Erneut lachte Sylvia hohl auf. »Das wird nicht so einfach sein. Der Polizeipräfekt hat es...
»Das denke ich ja auch«, sagte Sofie. Sie rang die Hände. »Aber Cristó ist so davon überzeugt .....
Ja, es waren kranke Menschen. Ja, es waren Menschen, die Hilfe brauchten. Und Judith war eine...
Er lächelte leicht. »Wer kann so etwas schon wissen?« »Das ist wahr.« Mara nickte. »Mit so etwas...

Suche im Katalog