Über das Schreiben
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Da ich noch bis vor kurzem in diesen Sphären geschwebt habe, fällt mir sofort ein Beispiel ein: Daphne du Mauriers Rebecca. Wer sagt da die Wahrheit und wer nicht? Das ist fast wie eine kriminalistische Untersuchung, durch die die zweite Mrs. de Winter herausfinden muss, was wirklich passiert ist und wer Rebecca tatsächlich war. Vor allem aber auch, wie ihr Ehemann tatsächlich zu seiner ersten Frau stand und somit auch, wie er tatsächlich zu ihr, seiner zweiten Frau, steht. In dem Roman gibt es praktisch nur unzuverlässige Erzähler. Jeder zeichnet ein anderes Bild von Rebecca, aber zum Schluss stellt sich heraus, dass das alles nicht stimmt. Die arme junge Frau, die da hineingeworfen wird, weiß überhaupt nicht mehr, wo ihr der Kopf steht. Auch deshalb nicht, weil ihr Ehemann sich nicht dazu äußert und das, was er eigentlich klarstellen müsste, klarstellt. Erst am Schluss bricht er sein Schweigen.

Rebecca ist natürlich kein Liebesroman. Da geht es um ein Geheimnis, es ist eher eine Art Schauerroman, und die junge Ehe steht da nicht im Mittelpunkt, sie ist sozusagen nur der Anlass, um eine völlig unschuldige junge Frau in eine Situation zu werfen, die sie kaum bewältigen kann. Sie wird mit so vielen Lügen und Halbwahrheiten konfrontiert, dass es für sie praktisch unmöglich ist, das zu durchschauen. Sie interpretiert es aus ihrer Sicht der Welt und kommt zu dem Schluss, dass Rebecca wohl eine strahlend schöne und zudem großartige und liebenswerte Frau gewesen sein muss, der sie niemals das Wasser reichen kann. Schön war Rebecca tatsächlich, der Rest trifft jedoch nicht zu. Sie war so ein bisschen wie Franzi, nur noch viel schlimmer. 😉

Es ist ziemlich deprimierend, wie Daphne du Maurier das zum Teil beschreibt. Weil man immer wieder das Gefühl hat, man kommt mit Lügen besser durchs Leben als mit der Wahrheit. Wenn man ein harmloser und unschuldiger Mensch ist, hat man keine Chance gegen all diese Ränkeschmiede, die nur ihre eigenen Interessen verfolgen. Das Buch hat nicht nur eine Franzi, es wimmelt von Franzis. Jede Figur ist nur auf sich selbst konzentriert und geht praktisch über Leichen, hat keinerlei Mitgefühl oder Sympathie für andere. Keine dieser Figuren schämt sich jedoch dafür oder sieht das als falsch an. Die Regeln der Gesellschaft gelten nicht für sie, weil sie sich alle für außergewöhnlich halten und deshalb meinen, darüber zu stehen.

Als eine dieser Figuren könnte ich mir Franzi durchaus vorstellen. Sie erzählt der eher harmlosen und unschuldigen Hauptfigur etwas, das diese Hauptfigur völlig verwirrt, das sie aber dennoch zumindest teilweise glaubt. Oder sogar ganz. So in etwa wie Rebeccas Cousin, der in Daphne du Mauriers Buch auftritt und eigentlich sehr sympathisch erscheint. Bis sich herausstellt, dass er ein Lügner und Betrüger erster Güte ist. Dass man ihm kein Wort glauben kann. Dennoch mag man ihn immer noch. Er ist eben so eine Art liebenswerter Hallodri, sehr unterhaltsam und charmant. Man sollte ihm nur nie Geld leihen, denn das sieht man bestimmt nicht wieder. Aber wenn man weiß, dass er ein Lügner ist, kann man eine schöne Zeit mit ihm haben. Solange man ihm nicht vertraut.