Gedanken
Ruth Gogoll und andere Autorinnen schreiben über Themen, die sie bewegen.

In meiner psychologischen Praxis sehe ich das sehr oft, Kay. Bullys sind Narzissten. Und die, die zu mir in die Praxis kommen, sind die Opfer des narzisstischen Missbrauchs, den diese Narzissten an ihnen begehen. Oftmals die eigenen Ehemänner (aber auch Ehefrauen, das ist jedoch seltener) oder Lebenspartner/innen, manchmal Chefs oder Chefinnen, gar nicht mal so selten jedoch auch die eigene Familie, die eigenen Eltern (oder ein Elternteil), die eigenen Geschwister, manchmal auch Leute aus der entfernteren Verwandtschaft, Tanten, Onkel, Cousins, Cousinen, und sogar „beste“ Freundinnen oder Freunde. Ja, sogar die eigenen Kinder können es sein, denn Narzissmus ist zu einem großen Teil angeboren. Ich kann also eine nicht-narzisstische Mutter sein und ein narzisstisches Kind haben, ebenso wie umgekehrt eine narzisstische Mutter ein nicht-narzisstisches Kind haben kann.

Die Opfer dieses Missbrauchs (und ich meine jetzt den psychologischen Missbrauch, nicht unbedingt den körperlichen, der natürlich auch eine Folge von Narzissmus sein kann) sind oft richtig erstaunt, wenn ich sage: „Das ist Narzissmus. Sie sind mit einem Narzissten verheiratet.“ Oder auch „Ihre Mutter (beziehungsweise Ihr Vater) ist ein Narzisst.“ Kann natürlich auch ausgetauscht werden durch „Ihre Freundin“, „Ihre Schwester“, „Ihr Cousin“ oder was immer es in dem jeweiligen Fall ist.

Warum die Opfer so erstaunt sind, das liegt oftmals daran, dass man ihnen eingeredet hat, sie hätten oder wären das Problem. Genau das, was Du in deinem Beitrag schon erwähnt hast, Kay. Sie wären zu empfindlich, sie würden keinen Spaß verstehen oder sogar sie wären verrückt, weil sie von dem, was man ihnen antut, so betroffen sind. Das ist das Gemeinste daran. Den Opfern wird die Verantwortung in die Schuhe geschoben, obwohl sie gar nichts dafür können. Das ist wie eine Gehirnwäsche, wenn es lange genug andauert (ganz schlimm bei Kindern, die narzisstischen Eltern ausgesetzt sind), und die Opfer glauben es dann schon selbst.

Wenn ich ihnen dann sage: „Nein, Sie sind nicht schuld. Sie sind nur das Opfer“, schauen sie mich oft so an, als würde ich ihnen ein Märchen erzählen. Wenn sie es dann begreifen, sind sie manchmal erleichtert, fangen sogar an zu weinen, manche können es aber auch erst einmal gar nicht begreifen. Sie sind so davon überzeugt, dass sie ein Problem haben, nicht ihr Mann, ihre Mutter, ihr Chef oder wer auch immer, dass sie meinen, ich müsste sie selbst behandeln, nicht denjenigen, der sie dazu gemacht hat, was sie sind, nämlich ein Nervenbündel, das unter immer schwerer werdenden Depressionen leidet oder vielleicht sogar am Rande des Selbstmords steht.

Das ist sehr, sehr traurig. Und leider ist das fast noch Traurigere daran das, was Du auch schon erwähnt hast, nämlich das sind die Leute, die diese armen Opfer auch noch zusätzlich fertigmachen, indem sie den Narzissten oder die Narzisstin unterstützen. Das geht von „Er (oder sie) hat das nicht so gemeint. Das hast du bestimmt falsch verstanden“ bis zu „Du regst dich aber auch über alles auf. Beziehungen sind eben harte Arbeit. Ich bin auch nicht immer glücklich mit meinem Mann/meiner Frau. Da muss man durch.“

Dabei übersehen sie nur leider, dass normale Beziehungsprobleme, die jeder hat, nicht mit narzisstischem Missbrauch zu vergleichen sind. Wenn man mit seinem Partner oder seiner Partnerin darüber reden kann, Lösungen finden kann, beide sich bemühen, etwas in die Beziehung zu investieren, das die Beziehung für beide voranbringt, dann ist das kein Missbrauch. Auch wenn vielleicht mal harte Worte fallen oder Beschuldigungen herumfliegen. Da kann (und muss) man sich entschuldigen, aber das hinterlässt keine ständig schwärende Wunde, die einen immer mehr runterzieht.

So etwas ist mit einem Narzissten oder einer Narzisstin jedoch unmöglich. Selbst wenn sie sich einmal entschuldigen sollten (was sie nur sehr, sehr selten tun), meinen sie das nicht ernst. Sie sind die geborenen Lügner. Und das finden sie auch gar nicht schlimm. Denn sie denken oft sogar, sie sind die Opfer, obwohl sie ständig nur anderen wehtun. Das nennt man „narzisstische Verletzung“, aber das ist wieder ein anderes Thema.

Die Folgen dieser narzisstischen Verletzung, damit haben dann die wirklichen Opfer zu kämpfen. Denn Narzissten schlagen und beißen wild um sich (im realen und im übertragenen Sinn), verletzen mit Worten oder auch mit ihren Fäusten, ohne Rücksicht auf Verluste. Sie denken, sie haben das Recht dazu. Sie denken sogar, ihre Opfer sind schuld, weil sie sie – nach Meinung des Narzissten – dazu bringen. Und das sagen sie diesen Opfern auch, so oft es nur geht. Machen sie verantwortlich für ihre eigenen Fehler, die Fehler des Narzissten. Aber das sehen sie nicht. Immer sind die anderen schuld, niemals sie selbst.

Wer solche Leute unterstützt, der ist selbst oft ein sehr schwacher Mensch, der sich durch die angebliche „Stärke“ des Narzissten Schutz erhofft oder auch Macht. Denn Leute, die keine Macht haben, sehnen sich oft danach. Allein können sie das aber nicht erreichen, dazu sind sie nicht in der Lage. Also schließen sie sich einem Narzissten an und wollen von dessen „Macht“ profitieren.

Das ist so ziemlich die schlimmste Art zu leben, die es gibt, aber das sehen sie oft nicht, weil sie – kurzfristig – Vorteile davon haben. Langfristig eher nicht. Narzissten sehen nur sich selbst, und ob man sie unterstützt oder nicht, das ist ihnen völlig egal. Sie nutzen es nur aus, solange es ihnen etwas bringt und gefällt. Dann lassen sie solche Unterstützer fallen wie eine heiße Kartoffel.

Eventuell (nicht selten) werden diese Unterstützer dann sogar selbst zu Opfern des narzisstischen Missbrauchs ihres ehemaligen „Idols“, weil die Narzisstin oder der Narzisst so viele private Dinge von ihnen weiß – vielleicht auch Dinge, die nicht so vorteilhaft sind –, dass sie oder er die ehemaligen Unterstützer damit wunderbar bloßstellen kann. Was Narzissten sehr, sehr gern als Hobby betreiben. Sie genießen es, Geheimnisse zu verraten, die man ihnen unter dem Siegel der Verschwiegenheit anvertraut hat. Weshalb man ihnen nie etwas anvertrauen sollte. Aber das merkt man dann oft zu spät, weil sie am Anfang sehr charmant sein können.

Es hat also überhaupt keinen Sinn, sich mit einem Narzissten oder auch mit Menschen, die ihn unterstützen, einigen zu wollen, mit ihnen argumentieren oder sie mit Logik überzeugen zu wollen. Dafür sind sie völlig unempfänglich. Von solchen Menschen kann man sich nur fernhalten. Oder sich von ihnen trennen, wenn man das Pech hatte, in eine nähere Verbindung mit ihnen getreten oder (in seiner Herkunftsfamilie) gezwungen worden zu sein.