9
Eleni hatte sich durch den Hintereingang ins Hauptrestaurant geschlichen, um so lange wie möglich unbemerkt zu bleiben. Sie stellte sich in eine Ecke und beobachtete ganz genau das Servicepersonal, das emsig durch den Speisesaal flitzte.
Zumindest zum Teil. Einige der Mitarbeiter wirkten deutlich weniger motiviert, schienen die leeren Teller und Gläser nicht zu bemerken, lieber miteinander zu quatschen.
Ein Ehepaar versuchte mehrfach, den Kellner herbeizuwinken, der jedoch nicht reagierte, bis der Mann irgendwann mit erkennbar genervtem Gesichtsausdruck aufstand, um sich selbst um Getränkenachschub zu kümmern.
Erst als Eleni ihre Deckung aufgab und sichtbar durch das Restaurant ging, schienen die meisten ihre Arbeit wieder ernstzunehmen und einen Gang zuzulegen. Alle begrüßten sie mit einem Lächeln oder winkten ihr zu.
An einer der Getränkezapfstationen entdeckte sie Nikos Sopasoudakis, den Restaurant- und Service-Chef, der gerade dabei war, einer Angestellten zu erklären, wie sie den Kaffeeautomaten nachfüllen sollte.
Das Gespräch mit ihm, das sie direkt nach ihrem Gespräch mit Kaliopi geführt hatte, war wenig erhellend gewesen. Nikos schien nicht mit offenen Karten zu spielen, Eleni musste dringend herausfinden, was sie von ihm halten konnte. Ob er zu den Mitarbeitern zählte, denen sie vertrauen konnte oder ob sie sich besser vor ihm in Acht nehmen sollte.
»Nikos, schön Sie zu sehen«, begrüßte sie ihn neutral-freundlich.
»Frau Mavridakis. Ich habe Sie gar nicht hereinkommen sehen.« Nikos Lächeln wirkte künstlich und aufgesetzt.
»Kommen Sie doch bitte gleich nach dem Mittagessen in mein Büro, wir müssen noch einmal reden«, kam Eleni direkt zum Punkt. Sie hatte keine Lust darauf, Floskeln auszutauschen. »Mir sind hier heute Mittag ein paar Dinge aufgefallen.«
»Ist was passiert?« Nikos wirkte mit einem Mal alarmiert.
»Das sollten wir nicht hier vor den Gästen besprechen. Aber keine Sorge. Es geht nur um ein paar grundlegende Themen.«
Eleni nickte ihm knapp zu, dann ging sie weiter zum Buffetbereich und schritt aufmerksam die Reihen ab. Auf den ersten Blick sah alles ansprechend aus, die Auslagen waren reichlich aufgefüllt und sauber.
Alexandros kam aus der Küche, und Eleni winkte ihm zu. Zu dem Chefkoch hatte sie von Anfang an einen guten Draht. Sie war sich sicher, dass sie ihm vertrauen konnte. Anders als die meisten sprach er die Probleme des Hotels direkt an und versuchte nicht, alles schönzureden oder herunterzuspielen.
»Hungrig?«, fragte er Eleni, als er bei ihr angekommen war.
»Sehr. Mein Frühstück war doch etwas spartanisch.« Sie ließ ihren Blick über das Salatbuffet schweifen, neben dem sie gerade standen.
»Lassen Sie mich raten: Mehr als einen Kaffee und ein paar Kekse haben Sie noch nicht gegessen.«
Eleni lachte. »Stimmt. Nach einer Woche kennen Sie meine Essensgewohnheiten schon ziemlich gut.«
»Ich kann’s Ihnen nicht verübeln, dass Sie möglichst wenig aus dem Restaurant essen wollen. Sie wissen, wie schwer es mir fällt, manche der Gerichte den Gästen anzubieten.« Er nahm mit einer Zange ein paar Tomatenscheiben und hielt sie hoch. »Überhaupt kein Geschmack und oft schon matschig, wenn wir sie geliefert bekommen. Einer echten kretischen Tomate nicht würdig.« Er schüttelte den Kopf und ließ die Tomatenscheiben wieder fallen. »Und die Gurken, völlig wässrig.« Er hob ebenfalls beinah angewidert ein Stück Gurke hoch. »Von Fleisch und Fisch sprechen wir besser gar nicht erst. Auch mit gut gewürzten Soßen kann ich da nicht mehr viel retten.«
Eleni nickte bestätigend. »Das steht ganz oben auf meiner To-do-Liste. Ich werde mich so schnell wie möglich darum kümmern, einen anderen Lieferanten zu finden.«
Alexandros wirkte erleichtert. »Ich liebe meinen Job und ich bilde mir ein, kein schlechter Koch zu sein, aber manchmal bringen mich unsere Lebensmittel wirklich zur Verzweiflung.«
Das konnte Eleni verstehen. Was sie jedoch nicht verstand, ist, warum die Lebensmittel von so schlechter Qualität waren. Irgendetwas musste dahinterstecken. Es gab auf Kreta so viele gute Produkte. Vor allem an Obst und Gemüse. Nur was war es?
Sie musste das dringend herausfinden.
10
Johanna schloss die Augen und lauschte den Wellen. Das sanfte und gleichmäßige Rauschen des Meeres ließ sie in diesem Moment alles vergessen.
»Ist es nicht wunderschön hier?« Celina schien ihre Gedanken lesen zu können. »Der Strand von Triopetra ist wirklich besonders«, schwärmte die Clubsängerin, die Johanna an ihrem freien Tag begleitete.
»Ja, das ist er. Schade, dass wir so wenig Zeit haben, die Gegend wirklich zu genießen.«
Sie hatten sich einen Platz am Strand abseits vom Hotel gesucht, an einem etwas felsigeren Strandabschnitt, um keinen Gästen zu begegnen. Auch wenn den allermeisten Urlaubern der Weg den Berg hinunter ohnehin zu beschwerlich war und sie lieber gleich am Pool blieben.
»Gerade am Anfang ist es wirklich viel, was wir lernen müssen, aber wenn du erst mal für jeden Sportkurs dein Programm hast und die ganzen Bühnenshows kannst, wird es entspannter«, versicherte Celina.
Johanna ließ den groben Sand durch ihre Finger rieseln. »Sechs Shows in drei Wochen zu lernen, war tatsächlich ziemlich anstrengend. Dabei kann ich mir Choreos schon recht gut merken.«
»Ich bin froh, dass ich nur ein paar Lieder lernen musste.« Celina zwinkerte ihr zu. »Bei diesen ganzen Schritten, die ihr da macht, wäre ich hoffnungslos verloren.«
»Sagen wir so: Die Gäste werden sehr froh sein, dass ich tanze und nicht singe.« Johanna lachte und legte sich zurück auf ihr Handtuch.
Auch wenn es bereits später Nachmittag war, hatte die Sonne noch viel Kraft. Die Wärme tat unendlich gut. Erst seit sie so viel Zeit unter freiem Himmel verbrachte, ist Johanna klargeworden, wie sehr ihr die Sonne in den vielen Stunden in der Eishalle gefehlt hatte. Wie sehr sie es vermisst hatte, einfach mal in der Natur zu sein.
»Ich werde mal wieder zurück ins Hotel gehen. Kommst du mit?« Celina sammelte ihre Sachen zusammen.
»Ich würde noch etwas bleiben, wenn das okay ist.«
»Klar. Aber hol dir keinen Sonnenbrand.« Celina warf Johanna ihre Tube mit Sonnencreme zu. »Du bist schon ganz rot.«
»Ich passe auf.« Johanna verstaute die Creme in ihrer Tasche. »Bis später.«
Als Celina gegangen war, stand Johanna auf und lief zum Ufer. Das kühle Wasser umspülte ihre Füße, die kleinen Kieselsteine bohrten sich in ihre Sohlen, aber es war nicht unangenehm.
Kinder tollten mit ihren Eltern durch die Wellen, ein verliebtes Pärchen bekam gar nicht genug voneinander und küsste sich fast ununterbrochen.
Wie schön wäre es, das auch eines Tages mit der richtigen Frau an ihre Seite zu erleben. Einen wunderschönen Urlaub an so einem wundervollen Flecken der Erde zu verbringen, die Zeit zu genießen, alles auf sich zukommen zu lassen.
Würde sie von nun an nur anderen beim Urlaub zusehen? War das ihr neues Leben? War es das, was sie wollte?
Johanna seufzte. Natürlich wollte sie das nicht auf Dauer. Sie betrachtete den Horizont, der mit dem Meer zu verschmelzen schien.
Was wollte sie denn?
Früher hatte sie jederzeit einen Plan gehabt.
Doch jetzt war alles anders. Wasser spritzte an ihren Beinen hoch. Sie wollte ihr Leben genießen, später nichts bereuen. Und sie wollte tanzen. Das machte sie stets glücklich. Zumindest konnte sie das hier. Und damit sogar Geld verdienen.
Sie atmete tief durch. Es roch nach Salz. War das nicht einer der schönsten Arbeitsplätze, die man haben konnte? Es gab keinen Grund, sich zu beschweren.