1
Der Applaus brandete immer wieder hoch.
»A-LI-DA! A-LI-DA! A-LI-DA!«
Schweißüberströmt saß Alida in ihrer Garderobe und hörte die Begeisterung ihres Publikums über das Konzert, das sie gerade gegeben hatte. Die Sprechchöre, die eine weitere Zugabe forderten.
Die Wellen schlugen hoch, und sie wollten sich einfach nicht beruhigen, auch wenn Alida schon mehrere Zugaben gegeben hatte. Eine unerhörte Erwartungsspannung lag über der Halle. Alida selbst fühlte sich gleichzeitig aufgeregt und erschöpft wie immer.
Das Adrenalin hatte sie so hochgepuscht, dass sie es auf der Bühne nicht wahrgenommen hatte, aber sobald sie die Bühne verließ, machte es sich bemerkbar, wie lang sie jetzt schon auf Tour war. Sie hätte gern einmal wieder ein paar Tage für sich gehabt, ein Wochenende, nur ein paar Stunden.
»Du musst raus!« Ihr Manager Steffen kam zur Tür hereingeplatzt, sah sie mit einem ungeduldigen Gesichtsausdruck auffordernd an.
»Eine Minute noch.« Alida griff nach einem Handtuch und wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht. Die Schminke ging gleich mit ab, und als sie das Handtuch wegnahm, sah sie im Spiegel, wie verschmiert sie war. »Mist. So kann ich nicht rausgehen.« Leicht fröstelnd strich sie über ihre Arme. »Und ich bin klatschnass.«
»Stell dich nicht so an.« Er warf ihr einen Bademantel zu. »Zieh das an, schmeiß dir Farbe ins Gesicht und los.«
Den Bademantel zog sie sich über, blickte erneut in den Spiegel und atmete tief durch. »Wo ist die Visagistin?«
»Ist schon nach Hause gegangen. Hat da wohl ein paar Gören, die sie versorgen muss.« Als kinderlieb konnte man Steffen wirklich nicht bezeichnen. »Nun mach schon. Die Leute zerlegen uns noch die Bude, wenn du nicht bald kommst.«
»Und ich zerlege dich, wenn du sie nicht wenigstens ein paar Minuten in Ruhe lässt.« Alidas Garderobiere Johanna kam herein und blitzte ihn an. Gleich darauf wandte sie sich mit einem wesentlich netteren Gesichtsausdruck an Alida. »Sorry, Kindchen, ich war nur kurz auf der Toilette.«
»Kein Problem.« Alida war froh, dass Johanna endlich da war. »Kannst du mir ein bisschen helfen? Du hast das früher doch auch mal gemacht.«
»Sofort.« Mit erneut blitzenden Augen wandte Johanna sich zu Steffen um. »Und du verschwindest jetzt. Oder sie kommt gar nicht mehr raus.«
Steffens Augen zogen sich zu schmalen Schlitzen zusammen. »Wie sprichst du denn mit mir? Ich schmeiß dich raus –«
»Kannst du nicht.« Wütend, aber zufrieden grinste Johanna ihn an. »Das kann nur Alida. Also jetzt verschwinde, sie kommt gleich.« Und mit einer Hand die Tür aufhaltend schob sie ihn mit der anderen hinaus. Danach schloss sie die Tür hinter ihm. »Wieso wirst du den furchtbaren Kerl nicht endlich mal los?«
Etwas müde verzog Alida das Gesicht. »Weil er ein sauguter Manager ist?«
»Na ja.« Johanna wirkte zweifelnd. »Aber jetzt komm. Ich helfe dir, dein Gesicht wieder hinzukriegen, und dann gibst du ihnen noch eine Zugabe. Aber übertreib’s nicht wieder.«
Alida lächelte. »Ich versuche es, aber ich kann nichts versprechen. Wenn ich da draußen bin, vergesse ich alles.«
»Ich weiß.« Johanna seufzte. »Daran erinnere ich mich selbst auch noch. Und es war schön. Meistens. Aber die Tour ist noch nicht zu Ende.«
Mit einem Augenrollen blickte Alida in den Spiegel und lächelte Johanna, die hinter ihr stand, jetzt über die reflektierende Oberfläche an. »Das habe ich nicht vergessen. Also dann mach mich mal wieder schön.«
Johanna lachte. »Das muss ich nicht. Das bist du schon. Wer ist nicht schön mit fünfundzwanzig?«
»Manchmal komme ich mir uralt vor.« Alida beugte sich vor und suchte nach Fältchen um ihre Augen.
»Hör auf damit.« Tadelnd klopfte Johanna ihr auf die Finger. »Da wirst du nichts finden. Das kommt erst später.« Mit dem Zeigefinger zog sie ihr rechtes Augenlid herunter. »Wenn du so alt bist wie ich.«
»Du bist nicht alt.« Alida lehnte sich im Stuhl vor dem Spiegel zurück und schloss die Augen.
»Doppelt so alt wie du.« Johanna lachte. »Aber lass uns jetzt die ganze Prozedur hinter uns bringen. Du musst auch mal schlafen. Wenn du kannst.«
2
»Ich mache keine Promis!« Die Aussage klang entschieden.
»Du arbeitest für die Agentur, oder?« Matthias Weissgerber, der Leiter der Agentur, sah Cat mit hochgezogenen Augenbrauen an.
»Demnächst mache ich mich selbstständig.« Dunkle Augenbrauen, die den graublonden von Weissgerber in ihrer Ausdruckskraft weit überlegen waren, zogen sich nicht hoch, sondern zusammen.
Matthias lachte. »Catarina . . . Wie oft hast du mir das schon angedroht?«
»Schon mehr als einmal, das stimmt.« Cat verschränkte die Arme und sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. »Aber du treibst mich immer wieder dazu.«
»Du willst den ganzen Verwaltungskram doch gar nicht«, erwiderte Matthias selbstbewusst. »Immer am Telefon hängen, verhandeln . . .«
»Ja, ja, schon gut.« Mit unzufrieden verzogenem Gesicht löste Cat ihre Arme und hob sie. »Aber so ein . . . Schlagersternchen. Wirklich, Matthias, was kann der schon passieren? So wichtig ist die nicht.«
»Schlagersternchen ist nicht ganz das richtige Wort«, erklärte Matthias. »Sie ist jetzt schon so lange im Geschäft und so oft in den Top Ten, dass man sie nicht mehr als Sternchen bezeichnen kann, mehr als Stern.« Er senkte den Kopf und musterte Cat über seine Brille hinweg. »Oder auf Englisch: Star. Sagt dir das was?«
»Sternchen oder Star, interessiert mich beides nicht«, gab Cat verärgert zurück. »Ich höre diese Art Musik nicht. Wenn man das überhaupt als Musik bezeichnen kann. Für mich ist das nur Gejaule.«
»Das ist deine persönliche Meinung, und die kannst du auch gern behalten«, meinte Matthias trocken. »Aber Kundin ist Kundin. Und die werden alle gleich behandelt, ist das klar?«
»Unterschreib den Vertrag nicht, dann ist für mich alles klar.« Cat grinste.
»Zu spät.« Matthias grinste auf eine sardonische Art zurück. »Ich habe schon unterschrieben.«
»Dann schick jemand anderen.« Sie tat es zwar nicht, aber es wirkte so, als hätte Cat gerade mit dem Fuß aufgestampft.
»Geht nicht. Die haben explizit nach dir verlangt. Anscheinend haben sie von dir gehört.« Matthias wirkte ziemlich zufrieden.
»Nennst du das Geheimhaltung?« Noch verärgerter als zuvor zogen sich Cats Augenbrauen zusammen.
»Deinen Namen kennen sie natürlich nicht«, beruhigte Matthias sie mit leicht gehobenen Händen. »Aber sie wollten den Bodyguard, der letztens diesem Politiker bei dem Attentat das Leben gerettet hat. Und das warst du, wenn ich mich nicht irre?« Herausfordernd blinzelte er sie an.
»Ist nur mein Job.« Cat presste die Lippen zusammen.
»Und das hier ist auch ein Job. Dein nächster«, sagte Matthias. »Oder hast du was anderes zu tun?«
»Wenn du mich so fragst . . .« Lässig wandte Cat sich ab und lief ein paar Schritte im Zimmer herum, legte nachdenkend ihr Kinn in die Hand. »Da könnte ich schon was finden. Ich hatte schon lange keinen Urlaub mehr.«