»Du hasst Urlaub.« Indem er sich mit beiden Händen auf dem Schreibtisch abstützte und hochschob, stand Matthias auf, ging um den Tisch herum und kam auf sie zu. »Du langweilst dich zu Tode im Urlaub. Das Einzige, was du liebst, ist deine Arbeit. Also komm schon . . .« Er klopfte ihr auf die Schulter. »Das Mädel ist ziemlich hübsch. Ist das kein Ausgleich?« Er grinste wieder.

»Du meinst, sie sieht besser aus als sie singt?« Cats Mundwinkel zuckten.

»Würde ich so sagen«, bestätigte Matthias. »Deal?« Er hielt ihr die Hand hin.

Zweifelnd betrachtete Cat diese Hand eine ganze Weile. »Ich muss mir trotzdem immer noch dieses Gejaule anhören«, wandte sie ein. »Das ist wie Folter.«

Matthias seufzte. »Na gut, du kriegst einen Bonus. Jetzt zufrieden?«

»Wie groß ist der Bonus?«, fragte Cat.

»Zehn Prozent?«, bot Matthias an. »Das ist eine Menge. Die zahlen gut.«

»Ich bin nicht käuflich.« Zurechtweisend blickte Cat auf ihn hinunter, denn er war kleiner als sie. »Das weißt du.«

»Du bist nicht bestechlich«, entgegnete Matthias, indem er Cats Aussage abwandelte. »Aber du arbeitest für Geld. Oder etwa nicht?« Erneut hielt er ihr seine Hand entgegen und sah sie auffordernd an. »Es ist nur ein Job wie jeder andere. Deal?«

»Na gut.« Cat schlug ein. »Hast du mich wieder rumgekriegt. Aber ich bereue es jetzt schon.« Sie verzog die Mundwinkel. »Ich werde mir Ohrenschützer kaufen.«

3

Wenn ich nur nicht so müde wäre. Im Gegensatz zu der Aufregung und Anspannung, die sie auf der Bühne spürte und die sie dort in höchste Höhen trieb, fühlte Alida sich jetzt wie erschlagen.

Das lag allerdings nicht nur an der Anstrengung auf der Bühne bei dem Konzert gestern Abend – bei jedem Konzert jeden Abend oder fast jeden Abend seit Monaten –, es lag auch daran, dass sie so gut wie nicht geschlafen hatte.

Nach dem Konzert waren sie sofort weitergefahren, und das hieß, sie hatte hier im Tourbus geschlafen. Oder sie hatte es versucht. Es dauerte immer eine ganze Weile, bis sie von der Adrenalinwolke herunterkam. Erst dann konnte sie an Schlaf denken.

Wenn sie allein in ihrem Zimmer war – in irgendeinem Zimmer in irgendeinem Hotel in irgendeiner Stadt, deren Namen sie oft noch nicht einmal kannte –, half sie dabei nach. Aber hier im Tourbus hatte Johanna ein Auge auf sie. Deshalb hatte sie das nicht tun können. Und demzufolge nicht geschlafen.

Vor einiger Zeit war die Sonne aufgegangen, und sie blickte zum Fenster hinaus, auf eine Landschaft, die durchaus ihren Reiz hätte haben können. Wenn das Alida interessiert hätte.

Sie hatten die Autobahn bereits verlassen und fuhren über eine zweispurige Straße, auf der ein Pkw nach dem anderen den Bus überholte. Obwohl Alida ein Schild mit dem Zeichen für Überholverbot gesehen hatte, schienen es die Leute hier alle zu eilig zu haben, um das zu beachten.

Die Busfahrerin war ein Profi und ließ sich davon nicht irritieren. Sie hielt sich exakt an die Geschwindigkeitsbegrenzung, und so glitten sie recht gemütlich dahin.

Alida fuhr sich mit beiden Händen über die Augen und versuchte, den Schlaf herauszureiben. Den Schlaf, den sie nicht gehabt hatte.

Gleich würden sie in irgendeinem Hotel sein, dann gab es vermutlich wie immer einen Soundcheck auf der vorgesehenen Bühne, und danach konnte sie vielleicht ein bisschen schlafen, vor dem Konzert. Wenn sie allein im Hotelzimmer war und Johanna sie nicht mehr überwachte.

Sie richtete sich in ihrem Sitz auf und stellte die Rückenlehne etwas gerader. Sobald sie angekommen waren, musste sie erst einmal ein paar Pilatesübungen machen, damit ihr Körper seine Geschmeidigkeit wiederfand. Wenn sie später stundenlang auf der Bühne herumhüpfte, brauchte sie die.

Sie wusste, dass sie jung war, und dennoch fühlte sie sich manchmal uralt. Je länger sie auf Tour war, desto mehr.

»Na? Gut geschlafen?« Johannas Stimme kam mit einem Lächeln darin über die hintere Rückenlehne zu ihr.

»Super.« Das sagte Alida immer, egal wie sie geschlafen hatte.

Es spielte sowieso keine Rolle. Sie wollte damit nur unnötige Diskussionen vermeiden, insbesondere mit Johanna, die sie manchmal bemutterte wie eine Glucke.

»Die nächste Nacht kannst du dich wieder in einem Bett ausstrecken. Dieser Sklaventreiber . . .«, Johannas Arm schlängelte sich in Alidas Sichtfeld und wies nach vorn, wo Steffen saß, »muss aufhören, dich ohne Zwischenstopp im Bus von einem Konzert zum nächsten zu karren. Das kann so nicht weitergehen.«

Uninteressiert zuckte Alida die Schultern. »Manchmal geht es eben nicht anders. Zu viele Termine, bei denen die Orte zu weit auseinander liegen.«

»So was kann man ändern. Das ist Aufgabe der Organisation . . .«, ein Rumpeln und Stöhnen deutete an, dass Johanna sich jetzt von ihrem Sitz erhob, »des Managements. Nicht nur Geld zu scheffeln.«

»Wir leben alle davon«, sagte Alida.

Johanna hatte sich aus ihrem Sitz geschoben und stand nun im Gang neben ihr. »Wir leben alle von dir, mein Kind. Deshalb solltest du das Sagen haben, nicht dieser . . .«, sie blickte nach vorn, »Idiot.«

»Wenn die Tournee vorbei ist, kann ich mich ausruhen und erholen.« Lächelnd blickte Alida zu ihr hoch. »Dauert ja nicht mehr so lange.«

»Wenn wir das alle überleben«, unkte Johanna.

4

Schon am frühen Morgen stand Cat vor der Villa, die das Hotel war, in dem sie die ›große Sängerin‹ einquartiert hatten. Sie wollte alle sicherheitsrelevanten Aspekte überprüfen, bevor die Kundin eintraf.

Wie so oft war es gar nicht so einfach, Sicherheit in einem Umfeld zu garantieren, das nicht darauf ausgelegt war, Menschen davon abzuhalten, es zu betreten. Ein Hotel war logischerweise genau das Gegenteil. Dort sollten möglichst viele Menschen es möglichst leicht haben hereinzukommen. Sie daran zu hindern, wäre geschäftsschädigend gewesen.

Für Cats Geschäft war es jedoch absolut schädigend, wenn alles so offen und einladend war. Niemand hier würde es gutheißen, wenn sie jeden, der das Hotel betrat, nach Waffen durchsuchte oder sonst wie überprüfte. Zudem umgab die alte Villa ein großer Park, der schwer zu überwachen war.

Während sie den Park durchstreifte, ergriff sie das kalte Grausen. Das war das Paradies eines jeden Stalkers oder Attentäters. Zwar umgab den Park eine hohe Mauer, aber es gab so viele Schlupflöcher, dass man die unmöglich alle im Blick behalten konnte. Dazu hätte die gesamte Manpower der Agentur nicht ausgereicht.

Das hieß, sie konnte den äußeren Ring nicht sichern, sie musste sich auf den inneren Ring beschränken. Also betrat sie das Hotel und sah sich um.

Auch die Eingangshalle war sehr offen und zudem noch durch etliche Pfeiler unübersichtlich gestaltet. Die konnte sie aber sicher durch zwei oder drei Leute aus der Agentur abdecken. Es mussten ja nicht alle Leute geschützt werden, nur diese eine Person.

Kingsley Stevens: Bühne frei!

1 Der Applaus brandete immer wieder hoch. »A-LI-DA! A-LI-DA! A-LI-DA!« Schweißüberströmt saß Alida...
»Du hasst Urlaub.« Indem er sich mit beiden Händen auf dem Schreibtisch abstützte und hochschob,...