»Aber . . . Aber . . .« Mariana stotterte ein wenig herum. »Das kann doch nicht sein. Hier kommt doch niemand rein. Wer hat das getan?« Mit großen Augen sah sie Robyn fragend an.

Robyn zuckte die Schultern. »Das wird wohl die Polizei herausfinden müssen. Es war ja dunkel.«

»Hat man Ihnen auch etwas gestohlen?«, fragte Mariana.

»Ich trage keinen Schmuck.« Robyn schmunzelte etwas. »Und auch kein Zigarettenetui.«

»Noch nicht einmal eine Uhr?« Weil sie sich an irgendetwas festhalten wollte, griff Mariana ganz automatisch nach Robyns Handgelenk und runzelte die Stirn, während sie es betrachtete.

»Oh. Ja. Die ist weg.« Es schien Robyn nicht besonders zu stören. »Das müssen wirklich Spezialisten gewesen sein. So etwas auf eine solche Art zu stehlen, ist nicht leicht.«

»Sie kennen sich da aus?«, fragte Jacqueline, die immer noch nah neben Mariana stand.

Robyn lächelte beinah etwas bedauernd. »Nein, das eher nicht«, antwortete sie. »Ich habe es mir nur so vorgestellt. Wenn keiner etwas gemerkt hat.«

»Ich habe etwas gemerkt«, sagte Mariana. »Es war wie ein Luftzug an meinem Hals. Als ob jemand hinter mir eine Tür geöffnet hätte. Was natürlich nicht sein kann, hier mitten im Saal.«

»Nein, das kann nicht sein«, sagte Robyn. Sie legte ihre Hand auf Marianas, die immer noch ihr Handgelenk festhielt. »Möchten Sie etwas trinken? Kann ich Ihnen etwas bringen?«

Erst in diesem Moment wurde Mariana bewusst, dass sie Robyn gar nicht losgelassen hatte. Schnell zog sie ihre Hand unter der von Robyn zurück. Die Handschuhe schützten sie nicht davor, dass sich ein sehr warmes Gefühl auf ihrem Handrücken ausbreitete.

»Nein . . . ähm . . . danke.« Was brachte sie nur dazu, so herumzustottern? Das war doch sonst nicht ihre Art.

»Dann möchten Sie sich vielleicht setzen«, vermutete Robyn so, dass es mehr als ein Vorschlag war. »Das war doch ein ziemlicher Schock.«

»Ja . . . hm . . .« Tatsächlich merkte Mariana, dass ihre Knie etwas weich wurden. Der Schock hatte wohl etwas gebraucht. »Das wäre vielleicht gut.«

»Draußen auf der Terrasse?«, fragte Robyn. Gleichzeitig nahm sie schon Marianas Arm und führte sie zu einer der bodenlangen Fenstertüren.

Mariana kam sich ein bisschen vor wie in einem Traum. Das alles hier geschah gar nicht ihr, sondern jemand anderem. Sie schaute nur zu.

Draußen auf der Terrasse empfing sie ein laues Lüftchen. Dagegen war es drin im Saal fast stickig gewesen. Obwohl er so groß war. Aber es waren eben auch viele Menschen darin.

Die Terrasse war von einer altertümlichen Balustrade umgeben. Das ganze Haus war sehr alt. Eines der ältesten in Boston. In die Balustrade waren abwechselnd kleine, kunstvoll gemeißelte Säulen, durch die hindurch man in den Garten schauen konnte, und steinerne Sitzbänke eingelassen. Zu einer von diesen führte Robyn Mariana.

»Vielleicht sollte ich Ihnen doch etwas zu trinken holen«, sagte Robyn. »Sie sind etwas blass.«

Eigentlich hätte Mariana gern um ein Glas Wasser gebeten, das hätte sie durchaus gebrauchen können, aber irgendetwas hielt sie davon ab. Denn dann hätte Robyn sie verlassen müssen, um es zu holen.

Warum wollte sie nicht, dass Robyn Reardon ging? Das war ihr nicht so ganz klar. Auf jeden Fall ging von Robyn etwas Beruhigendes, Selbstbewusstes aus. Sie schien immer ganz selbstverständlich zu wissen, was zu tun war.

»Es geht schon wieder«, behauptete sie deshalb. »Der Ball ist ja jetzt ohnehin vorbei. Dann kann ich mir später selbst etwas holen.«

Immer noch stand Robyn, setzte sich nicht neben sie.

»Und Sie?«, fragte Mariana und blickte zu ihr hoch. »Hat Sie das alles überhaupt nicht erschüttert? So etwas erlebt man ja schließlich nicht jeden Tag.«

»Langjährige Übung.« Robyn lächelte. »Ich habe schon Schlimmeres erlebt als das hier.«

Schlimmeres? Für einen Augenblick blitzte Mariana der Gedanke durch den Kopf, was für eine Art von Leben Robyn wohl geführt hatte, wenn sie so etwas sagen konnte. Das sagte man doch nicht einfach so.

Als wollte Robyn sie daran hindern, sie etwas zu fragen, zupfte sie ein wenig an ihren Frackärmeln und sah sich um, warf einen Blick hinein in den hell erleuchteten Saal, in dem nun keine Musik mehr spielte. »Die Polizei wird sicher bald kommen. Jemand wird sie bestimmt benachrichtigt haben.«

»Ja, bestimmt«, murmelte Mariana. Sie holte tief Luft. »Wird es wohl lange dauern, bis sie wieder abziehen?«, fragte sie dann.

Robyn lächelte auf ihre so beruhigende Art auf sie hinunter. »Eine Weile, nehme ich an.« Sie betrachtete erneut die vielen Menschen im Saal. »Es ist ja nicht nur ein Diebstahl, den sie aufnehmen müssen, sondern . . .«

»Hunderte«, setzte Mariana schicksalsergeben fort. »Meine Mutter sprach von über fünfhundert Leuten, die sie eingeladen hat.«

»Das wird seine Zeit dauern«, bemerkte Robyn mit bedauernd geschürzten Lippen.

»Wird es wohl«, murmelte Mariana.

Aber irgendwie fand sie das auf einmal gar nicht schlimm, wenn so jemand wie Robyn Reardon an ihrer Seite war.

6

Robyns Voraussage war eingetroffen. Es hatte Stunden gedauert, bis Mariana endlich ins Bett gehen konnte.

Schlafen konnte sie deshalb jedoch noch lange nicht. Merkwürdigerweise gingen ihr jedoch nicht nur die Ereignisse des vergangenen Abends durch den Sinn, die den Raub betrafen. Noch nicht einmal die Ereignisse, die ihre Mutter betrafen. Beziehungsweise ihr Verhältnis zu Mariana.

Was ihr vor allen Dingen immer wieder durch den Kopf schoss, waren Bilder von Robyn. Robyn Reardon. Sie war eine faszinierende Frau, und immer noch hatte Mariana sich nicht darüber klarwerden können, warum sie die Gestalt im Frack so gefangen nahm. Aufgrund der ganzen anderen aufregenden Geschehnisse war das völlig in den Hintergrund getreten.

Auf der Terrasse waren nicht nur die verwirrendsten Gedanken, sondern auch die verwirrendsten Gefühle durch Marianas Kopf geschossen. Als dann jedoch die Polizei gekommen war, hatte sie sich nicht mehr damit beschäftigen können.

Nur einen kurzen Augenblick hatte es auf der Terrasse gegeben, als Mariana dachte, dass Robyn und sie sich näherkommen würden. Als Robyn sich zu ihr herunterbeugte, um ihr das Glas Wasser zu geben, das sie ihr dann doch noch geholt hatte, weil sie meinte, Mariana sehe viel zu blass aus.

Es hatte wahrscheinlich noch nicht einmal eine Minute gedauert, bis Robyn zurückgekommen war, und doch war es Mariana wie eine Ewigkeit erschienen. Als ob sie sich bereits an Robyns Gegenwart gewöhnt hätte und sie nicht mehr missen wollte.

Das fand sie merkwürdig. Normalerweise ließ sie sich nicht so schnell auf neue Menschen ein, auf neue Bekanntschaften. Von Natur aus hatte sie zwar eine offene Persönlichkeit, aber schon in frühester Kindheit hatte ihre Mutter ihr dieses Grundvertrauen abgewöhnt, indem sie es immer wieder enttäuschte.

Daraufhin hatte Mariana gelernt, dass man Menschen nicht trauen konnte. Vor allem denen nicht, die einem am nächsten waren. Auch ihr Onkel Adam und ihre Tante Abigail hatten sehr zur Verfestigung dieses Gefühls beigetragen.

Die Einzigen, mit denen sie sich immer gut verstanden hatte, waren die Dienstboten gewesen. Besonders eine ihrer Gouvernanten hatte sie sehr geliebt. Mittlerweile dachte sie, dass es wirklich Liebe gewesen war. Seit sie wusste, dass sie Frauen Männern vorzog.

Eines Tages jedoch war diese Gouvernante, Lilly hatte sie geheißen, von einem Tag auf den anderen verschwunden. Niemand hatte Mariana je erklärt, warum. Alle ihre Fragen blieben unbeantwortet.

Das war sie zwar schon gewöhnt, aber in Lillys Fall hatte es ihr sehr wehgetan. Denn ihr hatte sie sehr vertraut. Und auch sie hatte dieses Vertrauen enttäuscht. Hätte sie ihr nicht vorher sagen können, dass sie weggehen würde?

Kay Rivers: Diebe mit Liebe

1 »Hast du alles?« Während Mariana über ihr Bett gebeugt dastand, um ihren Koffer zu packen, wurde...
Sie stellte das Tablett auf dem niedrigen Tisch zwischen den Sesseln ab und verteilte die Sachen...
Dass sie ihre Mutter überhaupt dazu gebracht hatte, war schon fast so eine Art Wunder. Sie hatte...
Lachend schüttelte Mariana den Kopf. »In diesem Fall nicht. Ich habe mich in Pomona hauptsächlich...
»Noch mehr als bei Mrs. Dilling kann ich mir fast nicht vorstellen«, sagte Robyn. »Da sahen sie...
»Ist es nicht großartig?«, fragte sie jetzt, während sie Mariana ansah. Ihre Augen strahlten schon...
Fast wäre Mariana in Ohnmacht gefallen. Das war wieder typisch ihre Mutter! Ihr kein Wort zu sagen...
War sie jetzt unzivilisiert, weil sie es trotzdem vier Jahre lang getan hatte? fragte Mariana...
Das Ganze dauerte höchstens ein paar Minuten, dann war der Spuk vorbei. Das Licht ging wieder an....
»Aber . . . Aber . . . « Mariana stotterte ein wenig herum. »Das kann doch nicht sein. Hier kommt...
Auch das wäre schlimm für Mariana gewesen, aber sie hätte wenigstens eine Erklärung gehabt. So...
Jackie beispielsweise hätte Mariana natürlich jederzeit in ihrem Schlafzimmer empfangen können....