»Ist es nicht großartig?«, fragte sie jetzt, während sie Mariana ansah. Ihre Augen strahlten schon seit Stunden und hier auf dem Ball im hell schimmernden Licht der Kristalllüster besonders.

Eigentlich konnte Mariana ihr nicht zustimmen, denn im Gegensatz zu Jackie hatte sie sich keinesfalls auf den Ball gefreut. Sie war sozusagen gezwungenermaßen hier. Aber sie wollte Jackie nicht die Freude verderben und lächelte sie an. »Ja, großartig«, antwortete sie.

»Ms. Mariana Bradlee Fulton und Ms. Jacqueline Caron de Beaumarchais!”, verkündete in diesem Moment eine Art Hofmarschall in Uniform, der die Tür bewachte und niemanden hereinließ, der nicht eingeladen war.

Wenn die Brahmanen von Boston sich auf einem Ball trafen, wollten sie nicht vom einfachen Volk gestört werden.

»Da bist du ja endlich!« Die Stimme ihrer Mutter überfiel Mariana wie ein Komet aus dem tiefen Raum.

Und selbstverständlich klang sie nicht freundlich. Wie ein Meteorit, der die Erde auf keinen Fall verpassen, sondern mit ungebremster Kraft darauf einschlagen wollte. Das war Amanda Bradlee Fulton in voller Pracht.

Mariana sah ihre Mutter auf sich zukommen, eine Dame und einen Herrn im Schlepptau, auf die Mariana gut hätte verzichten können. Aber dann hätte sie wohl gar nicht erst auf diesen Ball kommen dürfen.

»Du bist spät«, begrüßte ihre Mutter sie mit tadelndem Gesichtsausdruck, als sie bei ihr angekommen war.

Diese Art Tadel war Mariana seit frühester Jugend gewöhnt und hatte es fast schon erwartet. Selbst wenn sie überpünktlich gewesen wäre, hätte ihre Mutter irgendetwas gefunden, das sie an ihr aussetzen konnte. So war es immer. Auch deshalb war Mariana quer über den ganzen Kontinent an die entgegengesetzte Küste geradezu geflohen.

»Mach deiner Mutter doch nicht gleich wieder Ärger, kaum dass du zurück bist«, mischte sich nun der Mann neben Amanda Bradlee Fulton mit vorwurfsvoller Stimme ein. »Du hast sie schließlich schon genug Nerven gekostet.«

Innerlich seufzte Mariana, aber nach außen hin zeigte sie das nicht. Dennoch war sie nicht mehr das kleine Mädchen, das Boston vor vier Jahren verlassen hatte. Deshalb antwortete sie ausgesprochen liebenswürdig lächelnd: »Ich wusste nicht, dass es Ärger verursacht, wenn ich mein Studium mit magna cum laude abschließe, Onkel Adam. Dann hätte ich mich selbstverständlich darum bemüht, innerhalb des Durchschnitts zu bleiben.«

Adam Peabody, Amanda Bradlee Fultons Halbbruder aus der zweiten Ehe ihrer Mutter, war leider kein großes Kirchenlicht im Kopf, deshalb bekam er die Ironie in Marianas Bemerkung gar nicht mit und brauchte dann auch mindestens eine halbe Minute, bevor er eine Erwiderung fand. »Das wäre natürlich nicht nötig gewesen«, murmelte er leicht verwirrt.

Marianas Mutter wirkte ebenso irritiert wie ihr Bruder, setzte das jedoch gleich wieder in tadelndes Verhalten um. »Wenn du schon zu spät gekommen bist, dann halt uns jetzt hier nicht noch weiter auf. Alle haben auf dich gewartet. Komm mit.«

Damit drehte sie sich um und rauschte in ihrem etwas zu ausladenden Ballkleid zu der kleinen Bühne hin, die im hinteren Teil des Saales aufgebaut war und auf der die Musiker, die Amanda engagiert hatte, für die Gäste Walzer und Foxtrott spielten.

Es hatte keinen Sinn, hier jetzt einen Aufstand zu machen und sich mit ihrer Mutter zu streiten, das wusste Mariana. Außerdem war sie eigentlich auf diesen Ball gekommen, um jedes Aufsehen zu vermeiden. Denn im Vorfeld hatte ihre Mutter schon fast einen Nervenzusammenbruch bekommen, als Mariana ihre Meinung zum Ausdruck brachte, dass so ein Ball zur Feier ihrer Rückkehr nicht nötig sei.

Einen gespielten Nervenzusammenbruch natürlich, denn eigentlich hatte ihre Mutter Nerven aus Stahl, das war Mariana im Laufe der Jahre klar geworden. Weshalb sie sich dann auch dazu entschlossen hatte, nach Kalifornien zu gehen, sobald sie erkannte, dass das ihrer Mutter nervlich nicht schaden würde. Wie sie es vor Marianas Abreise mit höchst theatralischen Anspielungen behauptet hatte.

»Ich glaube, ich verabschiede mich mal«, sagte Jackie und sah Mariana beinah etwas um Verzeihung bittend an. »Ich habe da hinten Bekannte gesehen, die ich gern begrüßen würde. Oder brauchst du meine Unterstützung?«

»Nein, nein. Geh nur.« Mariana lächelte sie verständnisvoll an. »Es reicht, wenn ich mich von meiner Mutter fertigmachen lassen muss. Genieß du nur deinen Abend.«

Jackie verzog das Gesicht. »Jetzt machst du mir ein richtig schlechtes Gewissen. Ich komme mit.« Sie wandte sich in Richtung Bühne.

»Aber nein. Wirklich nicht.« Lachend griff Mariana nach ihrem Arm und hielt sie fest. »Ich habe das ernst gemeint. Genieß deinen Abend. Ich weiß, du hast dich schon lange darauf gefreut und noch viel länger keinen wie diesen mehr gehabt.«

»Das stimmt.« Unentschlossen blickte Jackie zwischen der Bühne und Mariana hin und her. »Aber ich will dich auch nicht im Stich lassen. So wenig ich die Gesellschaft deiner Mutter auch schätze.« Sie rollte die Augen zur Decke.

»Wer tut das schon?« Mariana schmunzelte. »Aber bitte, lass dich nicht abhalten. Ich weiß nicht, was sie vorhat, aber es ist kaum zu vermuten, dass es etwas mit dir zu tun hat, nur mit mir.«

»Es ist wirklich in Ordnung? Du bist mir nicht böse?«, fragte Jackie noch einmal mit schuldbewusst gerunzelter Stirn.

»Niemals.« Mariana umarmte sie kurz und lächelte sie beruhigend an.

Dann folgte sie ihrer Mutter auf die Bühne, auf der sie sie schon erwartete. Sie beeilte sich sogar, um das Gesicht ihrer Mutter, die ihr strafend von dort entgegenblickte, nicht noch mehr herunterfallen zu lassen.

Was sollte das jetzt wieder? Reichte es nicht, wenn Mariana hier war, sich hatte breitschlagen lassen, an diesem Ball teilzunehmen, obwohl sie das hasste?

Aber das reichte natürlich nicht. Dass ihre Tochter tat, was sie wollte, hielt Amanda Bradlee Fulton sowieso für selbstverständlich.

Im selben Augenblick, als Mariana sie erreicht hatte, strahlte das Gesicht ihrer Mutter auf, als sie sich nun von Mariana ab- und den Ballgästen, die wegen der Bühne ein wenig unter ihr standen – wo sie nach Meinung von Amanda auch hingehörten, wie Mariana wusste – zuwandte.

»Hier ist sie nun!«, kündigte sie Mariana fast noch lauter als der Herold an der Tür an. »Meine Tochter! Gerade aus Los Angeles zurück, wo sie mit großem Erfolg ihr Studium abgeschlossen hat!«

Ach, das hast du bemerkt? dachte Mariana.

Denn zu ihrer Graduierungsfeier war ihre Mutter im Gegensatz zu den Eltern von Marianas Freunden und Freundinnen nicht erschienen. Auch schriftlich oder telefonisch hatte Mariana keine Gratulation erhalten. Als wäre sie nur vier Jahre lang in Pomona auf Urlaub gewesen.

Die Anwesenden klatschten in ihre behandschuhten Hände – auf einem Ball der Bostoner High Society waren Hände grundsätzlich immer behandschuht, bei den Damen bis zu den Ellbogen, bei den Herren reichte die übliche Länge bis zur unteren Kante des Frackärmels – und einige riefen sogar »Bravo!«

Von der Bühne herunter versuchte Mariana auszumachen, wer das gewesen war, aber sie konnte es nicht erkennen. Viele der jungen Männer und Frauen hier im Saal waren mit Mariana zur Schule gegangen, und sie alle lachten sie an.

Ihr wurde ganz unvermutet plötzlich warm ums Herz bei diesem Anblick. Auch wenn ihre Mutter mit allen Mitteln versuchte, Kälte darin zu verbreiten. Aber es war nicht alles schlecht gewesen in Boston. Nur die Dinge, die mit Marianas Familie zu tun hatten.

»Zur Feier des Tages und weil wir ja immer an diejenigen denken müssen, denen es nicht so gutgeht wie uns«, ihre Mutter setzte ihr ›Wohltätigkeitsgesicht‹ auf, obwohl sie sich um arme Leute nicht im Mindesten scherte, »habe ich mir etwas ganz Besonderes ausgedacht. Wenn Sie erlauben und das nicht unmoralisch finden.« Sie sah sich im Saal um, erwartete aber keinerlei Widerspruch. Und bekam auch keinen. »Meine Tochter wird heute Abend im Namen der Wohltätigkeit an den Meistbietenden versteigert!«

Kay Rivers: Diebe mit Liebe

1 »Hast du alles?« Während Mariana über ihr Bett gebeugt dastand, um ihren Koffer zu packen, wurde...
Sie stellte das Tablett auf dem niedrigen Tisch zwischen den Sesseln ab und verteilte die Sachen...
Dass sie ihre Mutter überhaupt dazu gebracht hatte, war schon fast so eine Art Wunder. Sie hatte...
Lachend schüttelte Mariana den Kopf. »In diesem Fall nicht. Ich habe mich in Pomona hauptsächlich...
»Noch mehr als bei Mrs. Dilling kann ich mir fast nicht vorstellen«, sagte Robyn. »Da sahen sie...
»Ist es nicht großartig?«, fragte sie jetzt, während sie Mariana ansah. Ihre Augen strahlten schon...
Fast wäre Mariana in Ohnmacht gefallen. Das war wieder typisch ihre Mutter! Ihr kein Wort zu sagen...
War sie jetzt unzivilisiert, weil sie es trotzdem vier Jahre lang getan hatte? fragte Mariana...
Das Ganze dauerte höchstens ein paar Minuten, dann war der Spuk vorbei. Das Licht ging wieder an....
»Aber . . . Aber . . . « Mariana stotterte ein wenig herum. »Das kann doch nicht sein. Hier kommt...
Auch das wäre schlimm für Mariana gewesen, aber sie hätte wenigstens eine Erklärung gehabt. So...
Jackie beispielsweise hätte Mariana natürlich jederzeit in ihrem Schlafzimmer empfangen können....