Auch das wäre schlimm für Mariana gewesen, aber sie hätte wenigstens eine Erklärung gehabt. So hatte sie sich völlig sinnlos verzweifelt die Augen ausgeheult.

Aber auch das war vorübergegangen, und sie hatte sich damit abgefunden, dass man eben niemandem vertrauen konnte. Eine Erkenntnis, die völlig gegen ihre Natur war, weshalb sie immer wieder dagegen ankämpfte. Was meistens zu weiteren Enttäuschungen geführt hatte.

Bis sie dann nach Los Angeles gegangen war.

In Los Angeles hatte sie zum ersten Mal mit einer Frau geschlafen, und es waren ihr etliche Lichter aufgegangen.

Bei Robyn hatte sie jetzt auf einmal das Gefühl, einige dieser Lichter wären wieder aufgeflackert. Womit sie hier in Boston nicht im Entferntesten gerechnet hatte.

Eigentlich war sie nur nach Hause gekommen, um einen endgültigen Schlussstrich zu ziehen. Sie hatte mit ihrer Mutter reden, sich mit ihr versöhnen wollen, um einen sauberen Schnitt zu haben.

Doch diese Absicht hatte ihre Mutter von Anfang an untergraben. Wie immer. Mariana hatte mehrmals versucht, ihr zu erklären, worum es ihr ging. Aber ihre Mutter hatte einfach nicht zugehört.

Oder sie hatte tatsächlich nicht verstanden, was Mariana ihr sagen wollte, was durchaus möglich war.

Mariana konnte das zwar nicht begreifen, aber jetzt, da sie erwachsen war, musste sie es wohl akzeptieren. Sie würde nie eine Beziehung zu ihrer Mutter haben, wie andere Töchter sie zu ihren Müttern hatten. Eine freundschaftliche, manchmal sogar schwesterliche Beziehung oder einfach nur eine normale Mutter-Tochter-Beziehung, von gegenseitiger Liebe und gegenseitigem Vertrauen getragen. Gelegentlich vielleicht auch von Streit, aber aus einem Gefühl der liebevollen Besorgnis heraus.

Amanda Bradlee Fulton war das Wort Liebe jedoch genauso unbekannt wie das dazugehörige Gefühl. Diese Erkenntnis tat Mariana weh, und doch konnte sie nichts daran ändern.

Um ihrer Mutter einen Gefallen zu tun und vielleicht doch noch eine Chance zu haben, zu ihr durchdringen zu können, hatte Mariana sich auf diesen Ball eingelassen, obwohl ihr die Idee von Anfang an zuwider gewesen war.

Und auch dieser Schuss war nach hinten losgegangen. Amanda dachte gar nicht daran, Marianas Gefallen als einen Gefallen zu betrachten. Für die ignorante Mrs. Bradlee Fulton war es einfach eine Selbstverständlichkeit, dass ihre Tochter ihren Wünschen gehorchte, kein Verdienst.

Doch Mariana musste sich nun keine Vorwürfe mehr machen. Sie hatte alles versucht. Das war ihr wichtig gewesen. Schließlich brach man nicht so einfach den Kontakt zu der eigenen Mutter ab, ohne alles versucht zu haben. Das hätte sie sich selbst niemals verziehen.

Was Robyn wohl für ein Verhältnis zu ihrer Mutter hatte? Hatte sie überhaupt eine? Natürlich. Sie musste eine haben. Jeder hatte eine Mutter, zumindest biologisch.

Selbst Amanda hatte den biologischen Teil nicht überspringen können. Das hieß aber noch lange nicht, dass sie darüber hinaus auch nur das geringste Talent zur Mutter entwickeln wollte oder konnte. Mit der Ablieferung einer Erbin für das Bradlee-Vermögen hatte sie ihre Pflicht und Schuldigkeit getan. Danach hatte sie Marianas Vater zu den Akten gelegt.

Bereits damals war er nicht gesund gewesen und vielleicht sogar ganz froh darüber, seine ehelichen Pflichten nicht mehr erfüllen zu müssen, und schon, als Mariana sechs Jahre alt gewesen war, war er gestorben. Sie hatte nur noch eine verschwommene Erinnerung an ihn. Ein kleiner, fast durchscheinender Mann, der stets selbstvergessen lächelte und doch nie glücklich zu sein schien.

Für Mariana hatte er zwar immer Zeit gehabt, aber selbst, wenn sie bei ihm war, schien er abwesend. Als ob er schon damals mit einem Fuß im Grab gestanden hätte, in einer anderen Welt.

Er hatte den Garten geliebt und seine Bibliothek, in der er sich vorwiegend aufhielt.

Vielleicht auch deshalb, weil Amanda kaum wusste, wie ein Buch aussah und sich nicht dafür interessierte, ihn dort mit ihren Ansprüchen, gesellschaftliche Kontakte pflegen zu müssen, in Ruhe ließ. Jedenfalls meistens.

Wieder kam Mariana Robyn in den Sinn. War sie überhaupt je daraus verschwunden? Wie wäre Robyn wohl mit einer Mutter wie dieser umgegangen? Sie hatte es offenbar geschafft, Amanda um den Finger zu wickeln. Was Mariana nie gelungen war. Das Geheimnis hätte sie gern erfahren.

Vielleicht war das jedoch auch gar nicht so wichtig. Denn selbst Robyn würde kaum dazu beitragen können, dass Amanda die Liebe zu ihrer Tochter entdeckte. Es war einfach nichts da in ihrem kalten Herzen, das sich in Liebe hätte verwandeln können. Aus einem dunklen Loch konnte nichts entstehen. Selbst wenn es einmal eine Supernova gewesen war.

Als das betrachtete Amanda Bradlee Fulton sich wahrscheinlich. Als einen strahlenden Stern am Himmel der Bostoner Gesellschaft. Vielleicht war sie das sogar in gewisser Weise. Denn da kam es nicht auf Liebesfähigkeit an, nur auf den äußeren Schein. Darin war Amanda immer gut gewesen.

Aber Robyn . . . Robyn war gar nicht der Typ. Unwillkürlich runzelte Marianas Stirn sich ganz von selbst. Robyn war überhaupt kein Typ. Keiner, den Mariana je gekannt hatte. Dass sie sie auf einem Ball wie diesem hier angetroffen hatte, fand sie äußerst seltsam.

Andererseits war es das vielleicht nicht, wenn sie Eventmanagerin war. Da wurde selbst von den Snobs der Bostoner Gesellschaft einiges akzeptiert, solange man ihnen die Arbeit abnahm. Die Menschen, die das taten, interessierten sie grundsätzlich nicht.

Akzeptiert zu werden, darauf schien Robyn jedoch auf der anderen Seite in keiner Weise angewiesen zu sein. Auf Mariana machte Robyn den Eindruck, dass sie völlig in sich selbst ruhte.

Sie seufzte tief auf. Diesen Zustand hätte sie gern einmal erreicht. Schon allein deshalb verlangte Robyn ihr Bewunderung ab. Sie schien losgelöst von allem, was um sie herum geschah, und es schien sie nicht zu stören.

»Miss Mariana?« Es klopfte an ihre Schlafzimmertür, und dann öffnete sie sich auch sofort. »Ms. Reardon ist unten. Sind Sie zu sprechen?« Das Hausmädchen, das vor einiger Zeit schon die Vorhänge in Marianas Schlafzimmer aufgezogen hatte, um sie zu wecken, blickte sie fragend an.

Mariana merkte, wie ihr Puls sich bei der Erwähnung von Robyns Namen gleich um einige Schläge erhöhte. Dennoch versuchte sie, der Hausangestellten gegenüber die Ruhe zu bewahren.

»Hat sie gesagt, was sie will?«, fragte sie mit hochgezogenen Augenbrauen zurück.

Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Sie hat nur gefragt, ob Sie zu sprechen sind.«

Natürlich bin ich zu sprechen, dachte Mariana innerlich aufgeregt.

Doch gleichzeitig wusste sie auch, dass sie Robyn nicht in ihrem Schlafzimmer empfangen konnte. So gut kannten sie sich noch nicht.

Deshalb nickte sie und versuchte, den Eindruck zu erwecken, als wäre ihr das alles völlig gleichgültig. »Ich komme gleich hinunter«, sagte sie. »Sobald ich angezogen bin.«

Mit einem Satz sprang sie aus dem Bett, schon bevor das Mädchen das Zimmer verlassen hatte. So lange hatte Mariana ihre Ruhe nicht aufrechterhalten können.

Als Robyn und sie sich gestern Nacht oder eher heute früh verabschiedet hatten, war das im blinkenden Gewitter blauer Polizeilichter geschehen. Keine besonders intime Atmosphäre.

Zu dem Zeitpunkt hatte Mariana sich das vielleicht auch gar nicht gewünscht. Ihre Gedanken waren mit so vielen anderen Dingen beschäftigt gewesen.

Nun verfluchte sie es fast, dass sie Robyn nicht in der intimen Atmosphäre ihres Schlafzimmers empfangen konnte. Wäre Robyn ein Mann gewesen, hätte das einen Skandal gegeben. Die ganze Bostoner Gesellschaft hätte sich darüber aufgeregt.

Und ihre Mutter hätte sofort verlangt, dass dieser Mann Mariana heiratete. Ob er wollte oder nicht. Ob Mariana wollte oder nicht, stand ja sowieso nicht zur Debatte.

Aber auch für Bekanntschaften mit Frauen gab es bestimmte Regeln. Noch wusste Mariana nicht, was für eine Stellung Robyn in der Gesellschaft hier innehatte. Wahrscheinlich keine, die dafür ausreichte.

Kay Rivers: Diebe mit Liebe

1 »Hast du alles?« Während Mariana über ihr Bett gebeugt dastand, um ihren Koffer zu packen, wurde...
Sie stellte das Tablett auf dem niedrigen Tisch zwischen den Sesseln ab und verteilte die Sachen...
Dass sie ihre Mutter überhaupt dazu gebracht hatte, war schon fast so eine Art Wunder. Sie hatte...
Lachend schüttelte Mariana den Kopf. »In diesem Fall nicht. Ich habe mich in Pomona hauptsächlich...
»Noch mehr als bei Mrs. Dilling kann ich mir fast nicht vorstellen«, sagte Robyn. »Da sahen sie...
»Ist es nicht großartig?«, fragte sie jetzt, während sie Mariana ansah. Ihre Augen strahlten schon...
Fast wäre Mariana in Ohnmacht gefallen. Das war wieder typisch ihre Mutter! Ihr kein Wort zu sagen...
War sie jetzt unzivilisiert, weil sie es trotzdem vier Jahre lang getan hatte? fragte Mariana...
Das Ganze dauerte höchstens ein paar Minuten, dann war der Spuk vorbei. Das Licht ging wieder an....
»Aber . . . Aber . . . « Mariana stotterte ein wenig herum. »Das kann doch nicht sein. Hier kommt...
Auch das wäre schlimm für Mariana gewesen, aber sie hätte wenigstens eine Erklärung gehabt. So...
Jackie beispielsweise hätte Mariana natürlich jederzeit in ihrem Schlafzimmer empfangen können....