Das Ganze dauerte höchstens ein paar Minuten, dann war der Spuk vorbei. Das Licht ging wieder an.

Angestrengt blinzelte Mariana ein paar Mal, weil die gewaltigen Kristallleuchter, die an der Decke hingen, sie auf einmal blendeten, nachdem ihre Augen versucht hatten, sich an die Dunkelheit zu gewöhnen.

Dann sah sie, dass einer der Kellner neben ihr stand und genauso verwirrt blickte wie wahrscheinlich Mariana selbst. Erst mit einem zweiten Blick erkannte sie, dass Guy vor ihr auf dem Boden lag und leise stöhnte.

»Guy!«, rief sie überrascht und schaute mit gerunzelter Stirn auf ihn hinunter. »Was hast du denn gemacht?«

»Ich? Gar nichts«, grummelte er verärgert.

»Aber was tust du denn da am Boden? Was ist passiert?«

»Woher soll ich das wissen?«, fuhr er sie gereizt an. »Ich habe keine Ahnung.« Mit etwas gequältem Gesichtsausdruck rieb er sich den Nacken und stand auf. »Irgendetwas hat mich plötzlich getroffen, und ich bin in die Knie gegangen.«

Automatisch blickte Mariana nach oben zu dem gewaltigen Kristallleuchter, der über ihnen hing. Nein, der war immer noch da. Er war Guy nicht auf den Kopf gefallen.

Allgemeines Gemurmel erfüllte den Saal, weil es vermutlich allen genauso ging wie ihnen hier. Sie wussten nicht, was geschehen war, und versuchten, sich darüber klar zu werden.

Dann plötzlich erfüllte ein lauter Schrei den Raum, fast schon ein Kreischen. Eine hohe Frauenstimme. »Mein Collier! Meine Diamanten!«

Die Gesichter der Anwesenden wandten sich in die Richtung, aus der das Kreischen gekommen war, doch dann wusste man plötzlich nicht mehr, wo man hinschauen oder hinhören sollte, denn das erste Kreischen wurde von weiteren lauten Geräuschen ähnlicher Art übertönt.

Eine Geräuschkulisse, wie wenn morgens der erste Vogel ein leises Piep oder Tirili von sich gibt und nach einer Schrecksekunde, in der sie erwachen, unvermittelt alle anderen Vögel auf einmal einstimmen und einen Riesenlärm veranstalten.

Mit weit aufgerissenen Augen kam Jacqueline völlig aufgelöst auf sie zugestürzt. »Mariana! Die Brillanten sind weg!« Mit einer Hand bedeckte sie ihr Dekolleté, nahm sie dann aber weg, und Mariana sah, dass ihr Hals nackt war.

Völlig verdattert starrte Mariana sie an. »Wie meinst du das? Weg?«

»Na, schau dich doch an!« Jackie wies mit einer ausgestreckten Hand auf Marianas Dekolleté.

Unwillkürlich griff Mariana sich auch an den Hals. Und tatsächlich: Die Kette, die sie getragen hatte, war ebenfalls verschwunden. Irritiert zog sie die Augenbrauen zusammen.

Da plötzlich kreischte Abigail Peabody von der Bühne: »Mord! Totschlag! Polizei!« Sie sah aus, als wollte sie in Ohnmacht fallen, aber da niemand in der Nähe war, der Anstalten machte, sie aufzufangen, überlegte sie sich das dann doch noch einmal.

»Geht es Ihnen gut, Ms. Bradlee Fulton?«, fragte jemand neben ihr, ohne das Gekreisch auf der Bühne zu beachten.

Mariana drehte leicht den Kopf. Im ersten Moment fühlte sie sich verwirrt. Es war eine Frauenstimme, die zu ihr gesprochen hatte, aber vor ihr stand jetzt eine Gestalt im Frack. Doch im nächsten Moment wurde ihr klar, dass das kein Mann war.

Wegen des Kellnerfracks hatte Mariana die Gestalt eben für einen Kellner gehalten. Aber das konnte nicht sein. Dann hätte die Gestalt einen Rock und eine Schürze getragen.

Jetzt verbeugte sich die Gestalt im Frack, die trotzdem eindeutig eine Frau war, leicht vor ihr, als wäre sie tatsächlich ein Mann. »Kann ich irgendetwas für Sie tun?« Sie lächelte leicht. »Ich bin Robyn Reardon.«

Es schien, als ob die Gestalt erwartete, dass Mariana mit dem Namen etwas anfangen konnte. Das konnte sie aber nicht. Deshalb runzelte sie nur fragend die Stirn.

»Meine Firma hat die Veranstaltung hier organisiert«, ergänzte Robyn erklärend und machte eine weitausholende Armbewegung in den Saal hinein. »Im Auftrag Ihrer Mutter.«

»Ach so.« Dann war der Frack zumindest teilweise erklärbar, wenn auch nicht ganz. Denn auch eine Veranstalterin hätte normalerweise ein Abendkleid getragen. Mariana wusste immer noch nicht, was sie davon halten sollte.

Freundliche, leicht amüsiert wirkende blaue Augen musterten sie.

Seit dem ersten Augenblick, als sie Robyn Reardons Stimme hörte, hatte Mariana eine Art von Verwirrung befallen. Und erst recht, als sie sie dann sah. Mit dieser Verwirrung hatte sie jetzt zu kämpfen.

War es ihr Charme? dachte Mariana auf einmal. Denn den hatte sie gespürt, bevor sie Robyn überhaupt sah. Und spürte ihn jetzt noch mehr, da Robyn sie betrachtete.

»Habe ich Sie verwirrt?«, fragte Robyn. Ihr Blick ruhte so auf Mariana, als gäbe es nichts anderes in diesem ganzen Saal, das sie auch nur im Entferntesten interessierte. »Das täte mir leid.« Sie lächelte wieder.

Tut es nicht, dachte Mariana sofort. Denn sie hatte ganz eindeutig das Gefühl, dass Robyn Reardon es genoss, sie verwirrt zu haben. Dass das genau ihre Absicht gewesen war.

»Nein, wie kommen Sie darauf?«, fragte sie deshalb fast gleichgültig zurück und ließ ihren Blick durch den Saal schweifen, als wäre alles andere interessanter als Robyn, die direkt vor ihr stand.

Robyn lachte leise. »Ja, Sie haben recht. Es war unverschämt von mir, Sie gleich so zu überfallen, ohne Ihnen vorher vorgestellt worden zu sein. Aber ich war sehr neugierig auf Sie. Ich habe viel von Ihnen gehört.«

»Ich von Ihnen leider gar nichts«, erwiderte Mariana, mit so viel Desinteresse in ihrer Stimme und in ihrer Körpersprache, wie sie aufbringen konnte. Diese Frau im Frack brachte sie einfach dazu.

Vielleicht weil Mariana sie gerade deshalb ausgesprochen attraktiv fand. Ungewöhnlich. Ungewöhnlich attraktiv.

Das Schreien von der Bühne hatte aufgehört. Niemand hatte sich darum gekümmert, dass Abigail Peabody irgendwelche Zuwendung erwartete, denn jeder war mit sich selbst beschäftigt. Außerdem waren sie das schon gewöhnt. Jeder kannte Tante Abigail.

»Muss ja auch nicht sein«, lächelte Robyn. »Ich bin schließlich nur die Veranstalterin. Und Sie sind sicher«, dunkle Augenbrauen hoben sich fast besorgt in die Höhe, »dass es Ihnen gutgeht?«

»Ja, ähm . . . Ich glaube schon.« Erneut fuhr Marianas Hand an ihren Hals. Sie war innerlich auf einmal wie erstarrt, als die Schrecksekunde zurückkam. »Was ist denn nur passiert?«

»Raub«, bemerkte Guy mit düsterer Stimme, bevor Robyn antworten konnte. »Sie haben uns beraubt.« Seine Hand fuhr ruckartig in seine Frackjacke. »Mein Zigarettenetui ist auch weg.« Ungläubig fiel sein Blick auf seinen Arm. »Und meine Rolex!«

»Das hast du gar nicht gemerkt?«, fragte Mariana mehr neugierig als betroffen. Sie wusste, dass Guy sich jederzeit eine neue leisten konnte.

»Ich lag am Boden!«, herrschte er sie an. »Was hätte ich denn tun sollen?«

»Schon gut.« Mariana hob die Hände. »Natürlich konntest du nichts tun, das ist mir klar. Wir konnten alle nichts tun.«

Sie schaute sich um. Das Chaos war perfekt. Niemand interessierte sich mehr für den Ball, nur noch für ihre verlorenen Wertgegenstände. Frauen schnieften, Männer schimpften, doch viele standen einfach nur ratlos da.

»Glauben Sie es nur oder kann ich irgendwie helfen?«, sprach Robyn sie noch einmal sanft von der Seite an. Ihre Stimme enthielt das Lächeln, das auch auf ihrem Gesicht lag, gemischt mit einem leicht besorgten Ausdruck.

»Was glauben?«, wiederholte Mariana abwesend. »Oh ja«, fiel ihr dann ein. »Das. Nein, keine Sorge, es geht mir wirklich gut.« Langsam schlich sich auch in ihre Mundwinkel ein Lächeln, einfach, weil sie Robyn jetzt ansah. Es war fast wie ein Spiegel. »Danke der Nachfrage.«

»Das ist doch selbstverständlich«, sagte Robyn und ließ gleichzeitig ihren Blick zu Guy wandern, für den es überhaupt nicht selbstverständlich gewesen war, Mariana nach ihrem Befinden zu fragen. Er durchsuchte immer noch seine Taschen, um festzustellen, was ihm sonst noch abhandengekommen war.

Kay Rivers: Diebe mit Liebe

1 »Hast du alles?« Während Mariana über ihr Bett gebeugt dastand, um ihren Koffer zu packen, wurde...
Sie stellte das Tablett auf dem niedrigen Tisch zwischen den Sesseln ab und verteilte die Sachen...
Dass sie ihre Mutter überhaupt dazu gebracht hatte, war schon fast so eine Art Wunder. Sie hatte...
Lachend schüttelte Mariana den Kopf. »In diesem Fall nicht. Ich habe mich in Pomona hauptsächlich...
»Noch mehr als bei Mrs. Dilling kann ich mir fast nicht vorstellen«, sagte Robyn. »Da sahen sie...
»Ist es nicht großartig?«, fragte sie jetzt, während sie Mariana ansah. Ihre Augen strahlten schon...
Fast wäre Mariana in Ohnmacht gefallen. Das war wieder typisch ihre Mutter! Ihr kein Wort zu sagen...
War sie jetzt unzivilisiert, weil sie es trotzdem vier Jahre lang getan hatte? fragte Mariana...
Das Ganze dauerte höchstens ein paar Minuten, dann war der Spuk vorbei. Das Licht ging wieder an....
»Aber . . . Aber . . . « Mariana stotterte ein wenig herum. »Das kann doch nicht sein. Hier kommt...
Auch das wäre schlimm für Mariana gewesen, aber sie hätte wenigstens eine Erklärung gehabt. So...
Jackie beispielsweise hätte Mariana natürlich jederzeit in ihrem Schlafzimmer empfangen können....