»Noch mehr als bei Mrs. Dilling kann ich mir fast nicht vorstellen«, sagte Robyn. »Da sahen sie doch alle schon aus wie Weihnachtsbäume.«

Marcia lachte. »Sehr teure Weihnachtsbäume. Weihnachtsbäume aus Gold, Diamanten und Platin.«

»Muss es ja auch geben«, meinte Robyn lässig, grinste jedoch dabei. »Worüber sollten sich diese Leute sonst zu Weihnachten freuen? Sie haben ja schon alles.«

»Mehr als das«, bestätigte Marcia nickend. »Und sie wissen es noch nicht einmal. Für sie ist das alles selbstverständlich.« Sie machte eine kleine Pause. »Bis sie es verlieren.«

»Damit rechnen sie bestimmt nicht«, sagte Robyn. »Sonst wäre hier mehr Sicherheitspersonal.«

»Sie denken, sie brauchen das nicht. Die Gäste sind ja handverlesen«, nickte Marcia. »Hier kommt niemand rein, dessen Familie sie nicht schon seit hundert Jahren kennen.«

»Außer uns.« Robyn lachte.

»Ja, außer uns.« Marcia schürzte die Lippen. »Aber jetzt sollten wir uns an die Arbeit machen und schauen, dass alles glattläuft. Sonst gibt es schon am Anfang einen Skandal, weil das Buffet nicht rechtzeitig eröffnet wird.«

»Na, so etwas wollen wir diesen Leuten ja nicht zumuten«, scherzte Robyn. »Sie könnten glatt verhungern.«

»Eben«, stimmte Marcia ebenso unernst zu. »Dann müssen wir die Penner auf den Straßen bitten, einen Wohltätigkeitsball für die oberen Zehntausend von Boston zu veranstalten.«

Robyn lachte laut auf. »Zumindest könnten wir das Catering organisieren.«

»Und noch eine ganze Menge andere Sachen wie hier auch«, setzte Marcia fort. »Dann mal los.«

»Ja, dann mal los«, zitierte Robyn sie und folgte ihr mit einem Blick auf das riesige Herrenhaus, das aus einem Film hätte stammen können, hinein.

5

»Willst du die Klunker heute Abend alle tragen?«

Mariana warf nur kurz einen Blick zu Jackie hinüber, die vor dem Spiegeltisch in Marianas Schlafzimmer stand und eine der Ketten aus Marianas Schmuckschatulle durch ihre Finger gleiten ließ, und schmunzelte. »Du willst dir etwas ausleihen? Bitte, bedien dich.«

»Darf ich wirklich?« Jackies Augen leuchteten ungläubig auf.

»Natürlich darfst du. Du siehst doch selbst, es ist viel zu viel für mich.« Auffordernd lächelnd nickte Mariana ihr zu. »Nimm, was du magst.«

»Nur für heute Abend«, versicherte Jackie ihr hastig. »Direkt nach dem Ball bekommst du alles wieder zurück.«

»Keine Eile.« Mariana ging zu ihrem Kleiderschrank hinüber. »Du hast viel mehr Spaß an diesen Sachen als ich. Genieß das ruhig, solange du willst.«

»Aber die Dinger sind sauteuer.« Jackie hatte gleich zwei Ketten und ein Collier übereinander auf ihren Hals gelegt und betrachtete sich im Spiegel. »Wenn ich eins verliere, könnte ich das nie bezahlen.«

»Müsstest du auch nicht«, sagte Mariana. »Ist alles versichert.«

Immer wieder wechselte Jacqueline die Schmuckstücke an ihrem Hals aus. »Ich kann mich nicht entscheiden.« Ihre Augen strahlten Mariana an, dann wieder sich selbst im Spiegel. »Am liebsten würde ich sie alle tragen.«

Mariana lachte. »Dann tu’s doch.«

»Ach nein.« Auf einmal wirkte Jackie fast schüchtern. »Was würden dann die Leute sagen?«

»Das hat dich doch noch nie gekümmert.« Überrascht blickte Mariana sie an.

Etwas unentschlossen legte Jackie den Schmuck auf die Platte vor dem Spiegel zurück. »Ich weiß nicht. Jeder weiß doch, dass ich mir so etwas nicht leisten kann. Nicht . . . mehr.«

»Und wenn?« Mit schnellen Schritten war Mariana bei ihr, griff nach dem Collier und legte es ihr um den Hals. »Ich kann es mir leisten. Und ich bin deine Freundin.«

»Großzügig warst du schon immer.« Jackie lächelte sie im Spiegel an. »Auch als ich es noch nicht nötig hatte.« Ihr Lächeln erstarb.

»Denk nicht mehr daran.« Mariana strich ihr übers Haar. »Ich möchte nicht allein zu diesem Ball gehen, das weißt du.«

»Ich tue dir also einen Gefallen?« Ein leises Lächeln schlich sich in Jacquelines Mundwinkel zurück.

»Ja, das tust du.« Mariana griff nach einer der anderen Ketten und hob sie hoch. »Das ist doch alles sowieso nur Tand.«

»Teurer Tand«, sagte Jacqueline. »Den sich die meisten Leute nicht leisten können.«

»Ich schenke ihn dir.« Beinah abschätzig schaute Mariana auf ihr Schmuckkästchen und auf den Schmuck, der jetzt daneben lag. »Alles, wenn du willst.«

»Ich mag ja arm sein, aber eine Diebin bin ich nicht.« Auf einmal schmunzelte Jacqueline. »Denn so käme ich mir dann vor. Für heute Abend«, sie entschied sich endlich für das Collier und legte es endgültig an, »werde ich aber gern so tun, als würde mir das alles gehören.«

»Tu das.« Mariana schmunzelte auch. »Wenigstens ein Mensch, der Spaß an diesen Dingen hat. Irgendwie tun mir die armen Dinger fast immer schon leid, weil ich mir nichts aus ihnen mache.«

»Ach, ihr armen lieben Brillanten . . .« Jackie lachte, während sie über die glitzernden Steine an ihrem Hals strich und in den Spiegel sah. »Heute werdet ihr niemandem leidtun. Und ich mir auch nicht.«

Als sie am Abend beide gemeinsam den Ballsaal betraten, richteten sich alle Blicke auf sie. Mariana selbst ließ ebenfalls ihre Blicke über die Anwesenden schweifen. Nachdem sie so lange auf dem College fortgewesen war, war das heute das erste Mal, dass sie sie alle wiedersah.

Vieles erschien ihr auf einmal fremd, die Menschen wie auch der Anlass. Und doch freute sie sich zu ihrer eigenen Überraschung tatsächlich ein wenig, wieder hier zu sein. Denn manches wirkte beruhigend vertraut. Auf ganz andere Art vertraut als das College, ihre Freunde und Mitstudenten dort.

Sie hätte auch hier im Osten aufs College gehen können, auf die altehrwürdige Harvard-Universität in Cambridge bei Boston, wie es in ihrer Familie immer üblich gewesen war und wie es alle von ihr erwartet hatten, aber sie hatte so weit weg von hier weggewollt wie möglich. Wenigstens für eine Weile. Weiter als von der Ostküste an die Westküste ging es fast nicht.

An der Westküste, in Kalifornien, war das Leben wesentlich freier. Denn der Bostoner Snobismus war sprichwörtlich. Diejenigen, die sich zu den ersten Familien zählten – was sich für Außenstehende vielleicht harmlos anhörte, aber ungefähr das gleiche bedeutete wie zur königlichen Familie –, sprachen immer noch einen Dialekt, der mehr an britisches Englisch als an amerikanisches erinnerte. Und genauso abweisend und steif wie die Briten verhielten sie sich auch, wenn sie jemanden trafen, der nicht aus ihren Kreisen und aus Boston stammte.

In Pomona hatte Mariana kaum etwas anderes als T-Shirts und kurze Hosen oder leichte Sommerkleider getragen. Hier hätte sie sich darin totgefroren. Sowohl wegen des Wetters als auch wegen der Menschen.

An diesem Abend wurde alles aufgefahren, was in Boston Rang und Namen hatte, und weder T-Shirts noch kurze Hosen waren hier erlaubt. Hier herrschte der alte Dresscode für Galas und Bälle dieser Art: Abendkleid für die Damen und Frack für die Herren.

Dadurch sahen alle Männer wie Pinguine aus und einige der Frauen wie Papageien. Vermutlich Zugezogene, die nicht zu den alten Familien Bostons gehörten. Die meisten wirkten allerdings einfach nur elegant und gediegen, wie es für die oberen Zehntausend von Boston angemessen war.

Für junge Mädchen und junge Frauen wie Mariana und Jacqueline waren helle Farben angesagt, von Weiß bis hin zu allen Schattierungen von Pastell. Applikationen darauf konnten auch einmal in der Augen- oder Haarfarbe der Trägerin gehalten sein. Wobei rothaarige, grünäugige Trägerinnen die Nase vorn hatten. Sie hatten mehr Möglichkeiten, sich von den anderen abzusetzen.

Mariana war mit ihren kastanienbraunen Haaren, die leicht rötlich schimmerten, und in einem hellgelben langen Abendkleid, das wie ein reifes Weizenfeld im Sommer leuchtete, ganz im Sinne der Tradition gekleidet, während Jacqueline sich mit ihren blonden Haaren für Rosa entschieden hatte. Was ohnehin ihre Lieblingsfarbe war.

Kay Rivers: Diebe mit Liebe

1 »Hast du alles?« Während Mariana über ihr Bett gebeugt dastand, um ihren Koffer zu packen, wurde...
Sie stellte das Tablett auf dem niedrigen Tisch zwischen den Sesseln ab und verteilte die Sachen...
Dass sie ihre Mutter überhaupt dazu gebracht hatte, war schon fast so eine Art Wunder. Sie hatte...
Lachend schüttelte Mariana den Kopf. »In diesem Fall nicht. Ich habe mich in Pomona hauptsächlich...
»Noch mehr als bei Mrs. Dilling kann ich mir fast nicht vorstellen«, sagte Robyn. »Da sahen sie...
»Ist es nicht großartig?«, fragte sie jetzt, während sie Mariana ansah. Ihre Augen strahlten schon...
Fast wäre Mariana in Ohnmacht gefallen. Das war wieder typisch ihre Mutter! Ihr kein Wort zu sagen...
War sie jetzt unzivilisiert, weil sie es trotzdem vier Jahre lang getan hatte? fragte Mariana...
Das Ganze dauerte höchstens ein paar Minuten, dann war der Spuk vorbei. Das Licht ging wieder an....
»Aber . . . Aber . . . « Mariana stotterte ein wenig herum. »Das kann doch nicht sein. Hier kommt...
Auch das wäre schlimm für Mariana gewesen, aber sie hätte wenigstens eine Erklärung gehabt. So...
Jackie beispielsweise hätte Mariana natürlich jederzeit in ihrem Schlafzimmer empfangen können....